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PROPHECY-FEST 2019: Der Zwerg ruft – ein fabelhaftes Spektakel

Prophecy Productions ist ein Label, das für Tradition steht – und gerade mit seinem eigenen Festival dabei ist, eine solche zu etablieren. Seit 2015 gibt es die Reihe, und seit 2017 finden nun im jährlichen Wechsel Prophecy-Feste in den USA und in der Balver Höhle im Sauerland statt. Dabei hat das Label die 2017er-Edition sorgfältig evaluiert und als Reaktion auf ca. 600 Feedback-Bögen für 2019 überwiegend Bands, die im weitesten Sinne Metal spielen, eingeladen sowie in der Organisation den Fokus auf einen verlässlichen Zeitplan gelegt. Alles andere – die familiäre Atmosphäre (viele Bands und “Offizielle” treiben sich fast den ganzen Tag auf dem sehr kleinen Vorplatz der Höhle herum und sind stets – so scheint es – für Gespräche offen), der hohe künstlerische Anspruch, der perfekt gewählte Veranstaltungsort usw. sind gleich geblieben. Lediglich mit einer Verlegung des Zeltplatzes vom atmosphärisch schönen Gelände hinter der Höhle auf den Parkplatz mussten die Besucher*innen diesmal leben – ein kleiner Preis dafür, hier weiterhin Festivals stattfinden lassen zu dürfen.

Denn dies ist wahrlich ein besonderer Ort: Hier leben Zwerge! Glaubt man der germanischen “Thidrekssage”, wurde in diesem Felsen ein Schmied namens Wieland von Zwergen ausgebildet. Sie wollten ihn sogar behalten, haben’s aber nicht geschafft, so dass der gute Mann sich jetzt irgendwo anders rumtreibt. Die Zwerge jedenfalls sind noch da, das war eindeutig zu spüren in den zwei Tagen; die Zwerge waren da und zahlreiche andere Fabelwesen. Voila:

Der erste Tag

 

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A FOREST OF STARS

Ich erreiche den Ort des Geschehens eine Stunde vor Beginn und darf entzückt feststellen, dass man diesmal schon rein darf (2017 musste man während des Soundchecks draußen warten, so dass einige den Beginn verpassten) – es herrscht eine angenehme “Ruhe vor dem Sturm”-Atmosphäre, das Wetter ist perfekt, das winzige Außengelände schon gut gefüllt mit gut gelaunten Musikern, Fans und Labelmenschen. (Wie sich hier die Besucher*innen des Fests nicht die ganze Zeit gegenseitig über den Haufen gerannt haben, ist mir ein Rätsel, aber es hat funktioniert!)

Plötzlich erscheint eine Gruppe auffallend gut gekleideter Langhaariger aus dem (übrigens durch ein großes Fenster gut einsehbaren) Backstage-Bereich, auf den Schultern eine Palette Dosenbier; angeführt werden sie von einem Zwerg. Der Auftritt der spleenigen Engländer (6m, 1w) eröffnet das Festival wenig später nahezu perfekt, nicht nur, weil sie die richtige Band dafür sind, sondern weil die richtige Band auch noch die richtige Setlist ausgewählt hat – begonnen wird überraschend mit dem episch-atmosphärischen sechsteiligen “Beware The Sword You Cannot See”, bei dem Sängerin und Violinistin “Katheryne, Queen Of The Ghosts” (Katie Stone) in den hymnischen Teilen glänzen kann – was für eine Sängerin! Der Sound ist perfekt und die Performance des minutenlang stummen Sänger-Zwergs “Mister Curse” (Dan Eyre) dabei ebenfalls eine große Wonne für “The Humble Wooden Beer Lover” (mich). An Eyre, der sich während des Auftritts, überwältigt von Elend und Schönheit seiner Existenz, fleißig mit Dosenbier zumacht, ist ein Schauspieler verloren gegangen; er leidet, als gäb’s kein Morgen, und er weint tatsächlich! Schließlich legt er auch noch los zu singen, und es ist absolut großartig. Man merkt der Band zwar an, dass die Setlist etwas Besonderes ist – sie wird teilweise ein wenig holprig dargeboten -, aber solange die Emotionen rüberkommen, ist mir das egal. Zum Finale gibt es erst “Scriptural Transmitted Disease”, diese unglaubliche Hymne vom letztjährigen Meisterwerk “Grave Mounds And Grave Mistakes”, und dann folgt der Klassiker “Gatherer Of The Pure”, der nochmal den ganzen Wahnsinn der Band zusammenfasst. Sehr viel besser kann das Prophecy-Fest für mich jetzt schon nicht mehr werden.

SUN OF THE SLEEPLESS

haben dann gleich mehrere Probleme: Zum Einen müssen sie damit leben, dass ich so überwältigt von A FOREST OF STARS bin, dass ich sie emotional nicht in mich aufnehmen kann (okay, das wird ihnen wurscht sein), zum Anderen werden sie vom Zorn der Zwerge überrascht. Brutal dröhnt der Klang ihres Schmiedehammers durch die Höhle, minutenlang wird das Black-Metal-Gebretter auf der Bühne von ihrem Gewummer übertönt, dann schaffen es die Magier am hinteren Ende der Höhle endlich, an ihrem Mischpult einen Zauber zu wirken, der das Grauen beendet. Gut klingen SUN OF THE SLEEPLESS danach aber immer noch nicht, eigentlich hört man wirklich nur Krach – was ist da los? Irritiert verlasse ich die Höhle, denn eigentlich mag ich die Lieder dieser Band sehr, aber in dem Sound und nach dem Beginn kann ich heute damit nichts anfangen und widme mich lieber der schönen Aussicht vom Biergarten auf die sauerländischen Waldhügel und einem Zigarillo.

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Ein Schlafender in der Sonne

FARSOT/COLDWORLD

Auch FARSOT haben es sehr schwer bei mir. Ihr klinischer, kalter Post-Black-Metal wirkt auf mich wie ein Eindringen urbaner Maschinenmenschen in die gemütliche Höhlenatmosphäre. Ich muss aber auch zugeben, mich vorher nie mit ihnen beschäftigt zu haben – und wie ich beim Umschauen sehen kann, haben sie viele Fans hier. Mich langweilt’s, trotz des wieder deutlich angenehmeren Sounds. Erst als COLDWORLD hinzukommen, wird es atmosphärischer, aber da COLDWORLD es irgendwie schaffen, die Höhle noch kälter zu machen als sie ohnehin schon ist, halte ich es nicht lange in ihr aus, und so ist die Uraufführung der “Toteninsel”-Split (von der ich ja ohnehin kein Fan bin) leider kein Höhepunkt des Festivals für mich.

KATLA

Aus Island sind ein paar sehr männliche Elfen angereist, um ihr zweites Konzert überhaupt zu spielen. Eigentlich sei KATLA als Studioprojekt gedacht gewesen, sagen sie – schräg, denn das ist eindeutig Musik für die Bühne! Assoziationen zum Glam Rock der 80er entstehen, der Sänger ist eine Rampensau vor dem Herrn, und trotzdem schwebt über allem eine märchenhafte Atmosphäre, die mir zum zweiten Mal heute ermöglicht, in der Musik zu versinken. Das Konzert steigert sich in puncto Intensität von Minute zu Minute und kulminiert in einem Solo-Vortrag unter gleißendem Licht. Wird Zeit, dass ich mich mal mit dem Album beschäftige.

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DISILLUSION

Dass die Leipziger Melodeath-Prog-Metal-Veteranen DISILLUSION bei Prophecy gelandet sind, muss trotz der hohen Diversität des Label-Programms doch überraschen. Auf mich wirken sie auch während ihres Auftritts hier die ganze Zeit wie ein Fremdkörper – das fängt beim klassischen Rockstar-Publikum-Angefeuere des Frontmanns an (wie ich sowas hasse!) und endet beim eigenen Tonmenschen, der dann auch noch alles falsch macht. Doppelt so laut wie alle anderen will man offenbar sein – und man schafft es auch fast. Das geht deutlich zu Lasten der Akustik-Gitarre und des Gesangs und vor allem der Ohren der Anwesenden; die Höhlenzwerge sind wieder stinkig und lassen es permanent wummern. Ich halte es trotz dicker guter Ohropax und des mit dem Hit “Wintertide” hervorragenden Beginns nicht lange aus. Später höre ich in Gesprächen mit, dass es nicht nur mir so geht, und auch die Balver Bevölkerung wird sich ihren Teil gedacht haben. Fairerweise muss angemerkt werden, dass man in der Prophecy-Fan-Gruppe “Third Ear” auf Facebook auch sehr gute Rückmeldungen zum Auftritt lesen kann, aber ich bleibe dabei: Das war kein Tor.

ALCEST

Der Kontrast zu ALCEST könnte nun kaum größer sein. Die Franzosen feiern hier ihren Abschied von fünf Alben bei Prophecy und haben eigentlich angekündigt, Lieder vom neuen, demnächst bei Nuclear Blast erscheinenden Album zu spielen. Dass sie das dann doch nicht tun, ist eine große Erleichterung und Freude für wahrscheinlich so ziemlich alle Anwesenden – dass sie auch noch zwei Stücke von meinem ALCEST-Liebling “Les Voyages Des Ames” spielen, ist eine besondere Freude für mich! Aber sowieso passt hier heute Abend alles: Der Klang ist plötzlich wieder perfekt, ALCEST-Kopf Neige glüht vor Spielfreude, und die brilliante Lichtshow macht die Sache vollends rund. Sowieso, das Licht! Selten habe ich so intensiv gesehen, wie durch Bühnenlicht der individuelle Charakter jeder Band so gut unterstützt wurde. Dass es in einer uralten Höhle nochmal besser wirkt als in jeder Halle, ist sowieso klar, aber was für einen Effekt es z.B. hat, wenn bei ALCEST plötzlich gleißendes Licht ins Publikum strahlt, das muss man erlebt haben. Am Ende badet Neige allein auf der Bühne im Licht – es ist, als ob die Höhle von ätherischen Lichtwesen übernommen worden ist.

Ich schaue mich um: Na ja, doch nur Menschen. Aber deren Gesichter strahlen vor Rührung, männlich wie weiblich, und auch das muss man dem Label und seinem Programm seit bald 25 Jahren sehr zugute halten: So konsequent für Gefühlsausdruck einzustehen, in jede Richtung, das ist in dieser Welt und dieser von traditioneller Männlichkeit dominierten Szene alles andere als selbstverständlich. Sicher, Metal ist auch in seinen traditionellen Ausprägungen stets explizit emotional, aber in der scheuklappenfreien Konsequenz, die Prophecy Productions in die Szene eingebracht hat, ist das beinahe einzigartig. ALCEST sind dafür ein hervorragendes Beispiel, haben sie doch das “Blackgaze”-Genre mitbegründet und dabei stets betont, dass es ihnen um das Schwelgen in positiven Gefühlen geht, nicht um das – dann doch wieder typisch männliche – destruktive Schwelgen in (Selbst-)Hass und Trauer. Begonnen hat dieser Mut zum Positiven jedoch schon in den 90ern mit EMPYRIUM, PARAGON OF BEAUTY (die würde ich mir für das 25-Jahre-Prophecy-Jubiläums-Fest in zwei Jahren übrigens wünschen, so reunion-mäßig!) und DORNENREICH; ich bin damit aufgewachsen, und da bin ich dankbar für.

STRID

Ergriffen von soviel Licht und Leben ist es schwer, sich nun mit tristem Black Metal zu befassen – weshalb ich es auch einfach lasse, zumal ich mit STRID leider nichts verbinde. Im Hotel angekommen, versuche ich mir den Auftritt wenigstens via offiziellem Facebook-Stream anzuschauen, muss aber feststellen, dass die Anmut depressiver Felsentrolle via Webcam doch arg zu wünschen übrig lässt, und außerdem schlafe ich ein. Für viele ist der Auftritt jedoch ein weiteres Highlight an einem an Highlights nicht eben armen Wochenende. Gerüchten zufolge ist – nach 30 Jahren Projekt-Existenz – sogar ein Album im Gespräch!

So geht der erste Tag zu Ende. Es gab betrunkene und wütende Zwerge, weibliche wie männliche Elfen und ätherische Lichtwesen sowie eine Menge Menschen, die hier eine so willkommene wie notwendige Auszeit vom Alltag genießen. Am Wertmarken-Stand höre ich, wie ein Besucher der den Stand betreuenden Balver-Festspiele-Familie sagt, wie wunderbar friedlich er es hier immer wieder empfinde. Auch das wohl etwas Besonderes: Nichts, was Metal-Festivals sonst unangenehm machen kann, findet sich hier; stattdessen einfach nur an Musik und Emotion interessierte Menschen, die gemeinsam ihre Leidenschaft feiern. Ich kann mir vorstellen, dass das in der Balver Höhle, die sonst eher Schützenfeste sowie Schlager- und “Irish Folk”-Konzerte beherbergt, durchaus eine Ausnahme darstellt…

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Foto eines Fotografierenden, der einen Fotografierenden fotografiert; darüber das Geld und der Himmel

Der zweite Tag

LASTER

Es ist mittags im Sauerland, und drei Grottenolme aus Holland tauchen in der Höhle auf. Sie werden trotz der frühen Stunde schon gefeiert wie nichts Gutes, und auch ich muss feststellen, dass ich ihre extravagante und mit schrägem Humor gewürzte Show heute als Opener durchaus gut abkann. Ändert nichts daran, dass mich ihre Songs nach wie vor kalt lassen, aber immerhin. Muss ja sowieso auch erst warm werden heute.

TCHORNOBOG

Ein wirklich ungewöhnliches Signing bei Prophecy aus jüngster Zeit stellen die drei Projekte des Ukrainen Markov Soroka dar. Es gibt mit AUREOLE eines, das atmosphärischen Black Metal spielt, mit DROWN ein Funeral-Doom-Projekt und mit TCHORNOBOG ein in der Presse mal wieder beinahe einhellig als das nächste große Ding abgefeiertes Chaos-Avantgarde-Black-Metal-Ding. Ich muss da aber leider aus der Reihe tanzen: Mit keinem der Projekte kann ich wirklich viel anfangen – und ich hab’s echt versucht. Heuer in der Höhle dann eben auch nochmal live: Und live ist das natürlich schon ein toller Anblick, wie der Typ mit Unterstützung einer Bassistin und eines Drummers unfassbar krasse Sachen auf der Gitarre abzieht und dabei auch noch wild herumschreit und zuckt wie in einem akuten psychotischen Schub. Aber wo bleiben die Songs? Wie dem auch sei: TCHORNOBOG erschaffen, um im Bildhaften zu bleiben, an diesem frühen Nachmittag in der Balver Höhle ein aberwitziges Tor in die Hölle, einen Einblick ins Chaos der Existenz an sich. Das ist doch was!

FEN

Heruntergekommene Krieger an der englischen Küste! Das steht in meinem Notizbuch zu FEN. Auweia! Na ja: auch die geben für mich hier jedenfalls ein ganz schön zwiespältiges Bild ab. Zwar bringen sie mit atmosphärischem Black Metal und englischer Herkunft auf dem Papier alles mit, um mir gefallen zu müssen, und die ein oder andere packende Stelle können sie in ihrer Musik sicherlich vorweisen; allein, der Funke will einfach nicht überspringen. Live macht das wirklich grotesk übertriebene Rockstar-Gehabe des Frontmanns es mir da nicht unbedingt leichter – und dann kommen auch immer wieder diese ganz schön schief gesungenen Klargesang-Parts, bei denen sich mir, pardon, ordentlich die Fußnägel aufrollen. Sie treiben mich schließlich früher als gedacht wieder nach draußen ins wunderschöne Spätsommer-Wetter zu Zigarillo und Bier.

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English for Runaways

YEAR OF THE COBRA

Die Signing-Politik von Prophecy als “mutig” zu bezeichnen ist ja heutzutage schon fast untertrieben. Regelrecht aberwitzig erscheint mittlerweile die Dreiteilung des Labels in “eher Folk” (Auerbach), “eher Black Metal” (Lupus Lounge) und “alles andere” (Prophecy), denn dieses “alles andere” könnte ja locker noch in zehn weitere Sublabels unterteilt werden. YEAR OF THE COBRA etwa sind ein Stoner-Doom-Rock-Duo aus einer Bassistin/Sängerin und einem Schlagzeuger, und sie sind aus New York angereist, um die versammelten Märchenmetal-Freundinnen und -Freunde nachhaltig zu verstören, pardon, zu begeistern. Denn das schaffen sie, scheinbar mühelos! Diese Kobra sieht zwar merkwürdig aus – an der hinteren Bühnenwand prangt ein Ziegenbock mit drei Gesichtern -, aber sie rockt, dass die Höhlenfelsen vor Neid erblassen – und das auch noch bei sehr gutem Sound. Die Leute freut’s, und ich bin begeistert von der willkommenen Abwechslung.

VEMOD

Enthusiastisch balgen sich die Leute vor der Höhle und übertreffen sich in Superlativen, wenn’s um VEMOD geht. Nur ich hab mal wieder nichts mitbekommen und war 2015 und 2016 nicht hier, so dass ich die Band gar nicht kenne. Welch ein Versäumnis! Nach Grottenolmen, Chaosmagiern, alten englischen Recken und einer Kobra sind nun plötzlich Aliens in der Höhle gelandet: Das Bühnenbild zeigt drei ganz in schwarz gekleidete Figuren, eine davon mit einer Art Zwiebelkopf, und ganz viele blaue Laserstrahlen vor einem Sternenhimmel. Und genau so klingt auch die Musik: atmosphärisch-astronomischer Black Metal mit Ambient-Passagen und Melodien, die man nach dem ersten Hören direkt mitsummen kann. Großartig! Man merkt der Band in jeder Sekunde an, wie wohl sie sich hier fühlt und wie wichtig ihr dieser Ort, dieses Festival und ihre Musik ist. Die Menge dankt es ihr mit euphorischem Applaus und strahlenden Gesichtern, und ich erlebe mein erstes richtig immersives Erlebnis des Tages.

DARKHER

Die Höhlenkönigin erwacht, und mir fällt auf, dass ich mich verkalkuliert habe: Schon zuviel Geld habe ich dem Balver Festspielverein und seiner Gastronomie (es gibt lecker Türkisches für die veganen und vegetarischen Leute sowie die Leute, die Bratwurst und Pommes einfach satt haben; außerdem gibt’s Bier) in den Rachen geworfen, und dann hab ich mir auch noch ein neues EMPYRIUM-Shirt kaufen müssen… also laufe ich für neue Scheine ins Dorfzentrum, wo ich es gegen die horrende Gebühr von vier Euro (VISA-Karten hat die Märkische Sparkasse nämlich gesperrt, die Sau) dann auch bekomme. Schon ein komisches Gefühl, so auf Bargeld angewiesen zu sein, wenn man drei Tage vorher noch in England war, wo sogar die Straßenmusiker mittlerweile Kartenlesegeräte haben… Jedenfalls bekomme ich von DARKHER nur Anfang und Ende mit, muss aber auch sagen, dass mir dieser todtraurige Doom einfach nicht spannend genug erschienen ist und ich es noch nie geschafft habe, ein Album von ihr aufmerksam komplett durchzuhören.

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Auf dem Weg zum Bankautomaten wird’s erotisch

EMPYRIUM

Aber die Höhepunkte stehen mir ja noch bevor. Dass EMPYRIUM mir viel bedeuten, habe ich oft genug betont, bleiben wir im Bildhaften: Hier kommen die Geister der Vergangenheit. Mitgebracht haben sie leider wieder den Zorn der Zwerge – der Sound ist anfangs (das Mikro braucht z.B. eine ganze Strophe vom Über-Hit “Mourners”, um anzuspringen!) und zwischendurch immer wieder miserabel, was ich als besonders unglücklich den vielen internationalen Konzertgästen gegenüber wahrnehme, denn von denen dürften nicht wenige vor allem für das einzige europäische EMPYRIUM-Konzert dieses Jahr nach Balve gekommen sein. Egal, den Musikgenuss schmälert es zum Glück nicht über alle Maßen, und spätestens zur Mitte vom zweiten Stück, “The Blue Mists Of Night”, sind die meisten Probleme behoben. Trotzdem ist der Auftritt von EMPYRIUM heute der erste, bei dem ich denke, dass ein bisschen soundcheck-bedingte Verzögerung (alle Auftritte beginnen pünktlich!) doch notwendig gewesen wäre. Hinterher ist man eben immer schlauer…

Gespielt wird eine Art Retrospektive mit Fokus auf “Songs of moors & misty fields” – mit “Where At Night The Wood Grouse Plays” und “Heimwärts” werden auch Stücke aus der rein akustischen Periode EMPYRIUMs dargeboten (mit allerdings elektrischer Gitarre, was ich sehr schön finde), und es funktioniert wunderbar. Wie schon bei den vorhergehenden Touren wird die auf den Alben zu hörende Flöte dabei durch eine Geige ersetzt, was einfach hervorragend klingt.

Ganz unkritisch kann ich die Setlist aber nicht hinnehmen: EMPYRIUM haben sich für “With the Current into Grey” vom eher ungeliebten 2014er Comback-Album “The Turn Of The Tides” entschieden, und es gibt vier Stücke von “Songs of moors & misty fields” und kein einziges von “A wintersunset…”; das will ich zunächst schade finden, aber dann bieten EMPYRIUM nach dem eigentlichen Rausschmeißer “The ensemble of silence”, bei dessen bittersüßem Crescendo ich spontan wieder sechzehn werde, uns “Many moons ago” dar, jenes traditionell anmutende Folklore-Stück von “Where at night the wood grouse plays”. Ich singe und tanze mit, muss aber feststellen, dabei Leuten im Wege zu stehen, die den Raum vorzeitig verlassen wollen. Banausen! Thomas Helm jedenfalls macht’s auch sichtlich Spaß, dieses Stück zu singen, und spätestens, als sich alle erleichtert und erfreut verbeugen, merkt man, dass diese Band lebt und mehr ist als nur eine typische Reunion zum Geldverdienen.

Zum Singen und Tanzen muss ich dann aber auch nochmal was sagen: Wir befinden uns hier in einer alten germanischen Zwergenhöhle, das verstehe ich ja, da muss man Ehrfurcht wahren und so. Aber sind Zwerge nicht durchaus für recht ausschweifende Partys bekannt? Wieso steht das Publikum bei nahezu jeder Band so grotesk still? Wieso hat man das Gefühl, dass es sogar für das Zeigen der Pommesgabel erst um Erlaubnis bitten muss? Das ist mir jetzt wirklich schon bei vielen Metal-Konzerten aufgefallen: Zwischen Headbanging und starrem Rumstehen scheint es nichts zu geben, und zwischen den Liedern muss man dann eben besonders enthusiastisch die Pommesgabel zeigen oder klatschen, um das auszugleichen. Komisch, das ist doch Musik, da muss man sich doch eigentlich zu bewegen?

Na ja, egal. Denn jetzt kommen

BETHLEHEM

Ich sehe sie zum ersten Mal, und meine Güte, was bin ich froh, dass Jürgen Bartsch gesundheitlich wieder auf der Höhe ist und Spaß am Metal hat! Und was für ein unglaublich krasser Zufall, dass die perfekte Person für den Gesang bei BETHLEHEM auch noch in der gleichen Stadt wie er lebt und die beiden sich so gut verstanden haben! BETHLEHEM und Onielar, das passt wie Arsch auf Eimer, besser geht es nicht, und ihre Performance – es ist, als würde eine Banshee in die Höhle einfallen und allen den Tod bringen, die nicht bei drei bei den Zwergen sind – wird dieser Perfektion heute auch sehr gerecht. Dazu ist der Klang kristallklar, jedes Wort der grandiosen Texte ist zu verstehen, Bartschs Bassläufe dringen durch ohne zu dröhnen, und das unfassbar geile Knüppel-Schlagzeug treibt die Scheiße gnadenlos voran. Die hätten auch eine Stunde Spielzeit verdient gehabt, Leute! Die 45 Minuten vergehen wie im Fluge, die Setlist haut einen Hit nach dem anderen raus, einiges vom neuen Meisterwerk “Lebe dich leer”, aber auch zwei Stücke von “Dictius te necare”: “Schatten aus der Alexander Welt” und als viel zu frühes, aber großartig stimmiges Finale das “Tagebuch einer Totgeburt”. Es könnte atmosphärischer nicht sein, und die Dramaturgie des Tages hätte besser nicht getaktet gewesen sein können, also schütte ich entkräftet den letzten Rest Bier in mich hinein und wanke ins Bett. Wahnsinn.

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MORTIIS

Am Ende kommt er dann noch raus, der Chef der Zwerge, um sich die Quelle des ganzen komischen Krachs da in seiner Bude endlich mal persönlich anzuschauen. Er rümpft die – hehe – Nase, baut sein Casio auf und zeigt den ganzen Pennern erstmal, wo bei den Zwergen hier der Hammer hängt.

Also, ich hab’s leider nicht mehr gesehen.

Am nächsten Morgen bin ich sehr glücklich, und ich fahre heim. In zwei Jahren gerne wieder ein paar Folk-Bands, ja? Ich freu mich jedenfalls – Hotel ist schon gebucht. Bis dann!

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So sieht’s aus, wenn man die Höhle verlässt. 2021 wieder: Vorhang auf für’s Sauerland!
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