DISILLUSION, ART AGAINST AGONY: Konzertbericht Tübingen, Sudhaus, 25. Januar 2020

Nach der überragenden Live-Premiere des neuen DISILLUSION-Albums “The Liberation”  in Leipzig im September 2019 ist die Band jetzt mit den neuen Songs auf Tour – ohne die Gastmusiker, die das Konzert in Leipzig zu einem besonderen Erlebnis machten und mit einem neuen Bandmitglied.  Und auch das Konzert in Tübingen war ein Abend, der in bester Erinnerung bleibt.

Auf der fast schon merkwürdig leeren Bühne ohne Backline, es standen nur die Monitorboxen der Vorgruppe auf der Stage, gruppierten sich die Musiker auf zwei Ebenen. Auf dem Podest in hinteren Bereich standen das Schlagzeug und der neue Bassist Robby, der ein absoluter Glücksgriff zu sein scheint, denn auch er unterstützt zusammen mit DISILLUSION-Gitarrist Ben Haugg Sänger und Gitarrist Andy Schmidt bei den Vocals. Und spätestens bei der neuen, wieder einmal anders arrangierten Version von „Back To Times Of Splendor“ wurde klar, dass das Trio mehr ist als ein Sänger und zwei Stimmen für die Backing-Vocals. Der perfekte dreistimmige Gesang gibt dem ohnehin schon vielschichtigen Track eine weitere Dimension.

Bei DISILLUSIONs unglaublicher Präsenz störte die merkwürdig leere und große Bühne zu keiner Sekunde

DISILLUSION waren leider etwas zu leise

Schade war, dass der Sound in Tübinger Sudhaus zum einem fast zu leise und zum anderen ziemlich unausgewogen war – in den ersten Reihen war bei den ersten drei Songs leider fast nur das Schlagzeug zu hören – von Gesang, Gitarre und Bass kam vorne außerhalb des Abstrahlwinkels der an der Decke hängenden Boxen nur wenig an. Das besserte sich erst auf Zuruf aus dem Publikum – alleine, dass die überall gut zu hören waren (auch auf der Bühne), sagt schon einiges über die Lautschwäche des Konzertabends aus. Das sind wohl die Nachteile des In Ear-Monitoring: Die Band hört sich über ihre Kopfhörer perfekt und laut – für die Zuhörer ganz vorne fehlt aber etwas Entscheidendes vom Sound.

DISILLUSION-Sänger Andy Schmidt setzt auf große Gesten und bleibt doch immer er selbst

Perfekt einstudiert und gleichzeitig absolut authentisch

DISILLUSION konnten das ein wenig wettmachen durch ihre unglaubliche Bühnenpräsenz. DISILLUSION tragen keine Bandshirts, sondern Hemden, Andy Schmidt verzicht völlig auf die üblichen Metalposen und dirigiert das Publikum stattdessen mit großen Gesten, reckt die Arme in die Höhe, zur Seite und ist trotzdem immer ganz nah beim Publikum. Da wirkt nichts gekünstelt, obwohl offensichtlich ist, dass er und seine Bandkollegen nichts dem Zufall überlassen.

And higher and higher and higher I go
And deeper and deeper and deeper the flow
And higher and higher and higher we go
And deeper and deeper and deeper we fall

Diese Textzeilen aus „The Liberation“ funktionieren auch live, DISILLUSION holen ihr Publikum nicht nur ab, sie nehmen sie mit in eine Welt voll blauen Lichtes, Klanggewittern und überraschender Umschwünge. Raserei trifft auf zarte und zerbrechliche Momente, zusammengehalten von einer unglaublichen Dynamik – das ist schon ganz große Kunst, was die Leipziger da schaffen.

DISILLUSION-Gitarrist Ben Haugg wechselt mühelos zwischen E- und Akkustik-Gitarre
Blickfang an linken Bühnenrand: DISILLUSION-Gitarrist Sebastian Hupfer

Willkommen im Universum von DISILLUSION

Es waren ja nicht nur die grandiosen Songs, mit denen DISILLUSION das Publikum in ihre Welt entführten, da sind auch etliche Textzeilen, die man einfach nur aus vollem Herzen mitsingen kann, weil sie den Moment einfach perfekt beschreiben:

It’s time to let go
This was a fallacy
A dream in the dark
Time to let go
Your demons and misery

It’s time to let go
This was a fallacy
Let it drift away
Time to let go
The wintery heart will sail

Fallenlassen, den Moment auskosten, die wunderbaren Melodien aufnehmen, sich mitreißen lassen im Strudel der Emotionen, ohne nachzudenken, die Welt einfach kurz vergessen – viel besser kann ein Konzert nicht sein. Und DISILLUSION schafften es, trotz des dürftigen Sounds mit ihrer Musik, das Publikum im Sudhaus nicht nur auf ihre Seite zu ziehen – es folgten alle bereitwillig. Da spielte es auch keine Rolle, ob die Songs vom aktuellen Album oder früheren Platten stammen. Auf der Setlist standen auch “Alone I Stand In Fires”, sowie der Titelsong von “Back To Times Of Splendor“, die Single “Alea“, “The Black Sea” von “Gloria“. Das reguläre Set endete mit “The Mountain” – die begeistert verlangte Zugabe war “And The Mirror Cracked”, danach war Schluss, Band wie Publikum waren platt, aber glücklich und dankbar für einen weiteren Abend mit dieser Ausnahmeband.

 

Der neue DISILLUSION-Bassist Robby sieht dem Gitarristen Sebastian Hupfer ziemlich ähnlich

Setlist DISILLUSION Tübingen, Sudhaus 25. Januar 2020

 

In Waking Hours
Wintertide
The Great Unknown
Alone I Stand In Fires
The Liberation
A Shimmer In The Darkest Sea
Time To Let Go
The Black Sea
Back To The Times Of Splendor
Alea
The Mountain
—-
And The Mirror Cracked

Versunken in seiner eigenen Welt: DISILLUSION-Gitarrist und Sänger Andy Schmidt

 

ART AGAINST AGONY waren der etwas andere Opener

Nicht unerwähnt bleiben sollen ART AGAINST AGONY. Die Vorgruppe war, wie es sich als Support für eine Band wie DISILLUSION gehört, nicht ganz gewöhnlich. Selbst beschreibt sich die 2011 gegründete Band als “band & international artist collective” – und das trifft es ganz gut. Musikalisch sind ART OF AGONY irgendwo zwischen Jazz, Klassik und derbsten Instumental Death Metal zu verorten, das Konzept geht aber offenbar weit über die Musik hinaus – hier lohnt sich ein Blick auf die ART AGAINST AGONY Homepage.

Spannende Musik, spannende Instrumentierung. Ein rundum gelungener Auftritt.
Die Masken entkoppelten Musiker und Publikum. Unnötig oder die Portion Spannung extra?

 

Dementsprechend speziell war der Auftritt. Die Anonymus-Masken ließen die Bandmitglieder unnahbar erscheinen, das Auftreten selbst war steril und spannend zugleich. Technisch perfekt, andererseits aber so spannend packend gespielt, dass allein diese Kombination die Zuhörer und -schauer vor der Bühne fesselte. Die Masken sorgten bei einer spontanen Umfrage bei dem Umstehenden zwar für Unverständnis, vermutlich, weil dieses Entkoppeln von Musiker und Live-Performance einfach automatisch als unnatürlich empfunden wird, aber wahrscheinlich war genau das der Gedanke. Unterm Strich war es spannend und wurde mit viel Applaus belohnt – cooler Auftritt!

 

Bildergalerie DISILLUSION, ART AGAINST AGONY – Tübingen, Sudhaus

DISILLUSION

ART AGAINST AGONY

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