AMON AMARTH, ARCH ENEMY, HYPOCRISY, “Berserker”-Tour, Zenith, München, 15.11.2019

Eigentlich ist die Vorstellung aus damaliger Sicht ein wenig absurd. Als wir vor ziemlich genau 15 Jahren AMON AMARTH das erste Mal live erlebten, spielten die Schweden in der kleinen Backstage Halle vor ein paar Hundert Fans – kein Fotograben, keine wirkliche Lightshow und gerade Mal so viel Platz auf der Bühne, dass die Wikinger beim Headbangen nicht den Nebenmann mitnahmen. Als wir heute an diesem Herbstabend das ausverkaufte Zenith betreten, eröffnet sich uns dagegen eine komplett andere Welt: Fast 6000 feierwütige Anhänger haben sich eingefunden, am Merchandise werden Kapuzenjacken für nicht weniger als 100,-€ verkauft und AMON AMARTH haben dank ihrer eigenen Trinkbecher-Kollektion sogar das Getränkepfand als Einnahmequelle entdeckt.

Die Wikingermaschine druckt bereits fleißig Geld und wir sind mitten drin – immerhin haben wir es irgendwie geschafft, die Könige des Melodic Death Metal seit rund zwölf Jahren nicht mehr live zu erleben. Zeit also, die verlorenen Momente nachzuholen und für einen Abend den Thorshammer auszupacken.

HYPOCRISY

Bevor es für uns nach Asgard geht, grüßen jedoch erstmal die unheimlichen Besucher aus einer anderen Welt. Bereits einige Minuten vor dem offiziellen Zeitplan ertönen die Chöre des Openers „Fractured Millennium“, mit dem die Melodic Death Metal-Veteranen HYPOCRISY ihr 35-minütiges Set eröffnen. Wie schon beim diesjährigen SUMMER BREEZE pflügen die Mannen um Peter Tägtgren quer durch ihre Schaffensperioden, um dem bereits ordentlich gefüllten Zenith einzuheizen.

Unglücklicherweise leiden gerade die schnellen Stücke wie „War-Path“ und “Adjusting The Sun” unter den örtlichen Gegebenheiten, die in der Region als Albtraum für jeden Soundmann gelten. Sobald Reidar Horghagen hinter den Kesseln Gas gibt, verschluckt die wummernde Doublebass in der alten Ausbesserungshalle nahezu alle Details. Reduzieren HYPOCRISY hingegen das Tempo, freuen wir uns über schöne Gitarrenharmonien und eine anstandslose Performance von Gitarrist und Sänger Tägtgren.

HYPOCRISY pflügen quer durch ihre Schaffensperioden

Als selbiger die Münchner im Refrain des Hits „Eraser“ um stimmlichen Beistand bittet, folgt die Unterstützung umgehend aus hunderten Kehlen. Die Skandinavier haben in ihrer 28-jährigen Karriere offensichtlich auch in der bayerischen Landeshauptstadt einige Anhänger rekrutiert, die schon am frühen Abend auf Betriebstemperatur sind. Für all jene gibt es zum Abschluss das obligatorische „Roswell 47“, bei dem wir ein letztes Mal zu stimmungsvoller Lichtuntermalung unsere Aluhüte aufsetzen dürfen. We want to believe.

HYPOCRISY Setlist

  1. Fractured Millennium
  2. Adjusting The Sun
  3. Fire In The Sky
  4. War-Path
  5. Eraser
  6. The Final Chapter
  7. Roswell 47

ARCH ENEMY

Ungewöhnlich erscheint es zunächst schon, wenn eine Band wie ARCH ENEMY, die von Sommerfestivals selbst regelmäßig als Headliner gebucht wird, im Vorprogramm von AMON AMARTH auf Tour geht. Obgleich die Wikinger aus Tumba offenbar noch einmal ein anderes Kaliber sind, spielen deren Kollegen um Fronfrau Alissa White-Gluz auf dieser Tour nicht unbedingt die zweite Geige: Fast eine ganze Stunde haben ARCH ENEMY Zeit, um das Publikum auf die Ankunft der Berserker vorzubereiten.

Ganze zehn Songs hat das Quintett dafür mitgebracht, die meisten davon finden wir auf den letzten beiden Veröffentlichungen „War Eternal“ (2014) sowie „Will To Power“ (2017). Von Letzterem stammt dann auch der Opener „The World Is Yours“, der nach kurzem Intro direkt nach vorne geht und wenig Raum für Interpretation lässt: ARCH ENEMY wollen nicht einfach den Anheizer spielen, sondern fordern von uns vollen Körper- und Stimmeinsatz.

Nicht nur Michael Amott liefert eine blitzsaubere Leistung ab

White-Gluz macht es uns vor, als sie zu „War Eternal“ ihre blaue Mähne kreisen lässt und in „My Apocalypse“ als Dirigentin die Fäuste von tausenden Zuschauern lenkt. „Clap your hands!“, „Show me your fists!“, „Sing it!“, – kurzzeitig kommen wir uns vor wie beim Animationsprogramm der Hotelanlage unseres letzten Badeurlaubs. So viel Anleiterin wäre gar nicht nötig, die Münchner fressen White-Gluz und ihrer Band ohnehin aus der Hand.

Verwunderlich ist das kaum, schließlich gibt es dank der bunten Lightshow nicht nur optisch einiges an Abwechslung. Auch der Sound ist für Zenith-Verhältnisse glasklar und differenziert, weshalb wir uns über die zahlreichen Soli und Gitarrenläufe gleich doppelt freuen dürfen. Überhaupt liefert das Duo Jeff Loomis und Michael Amott eine blitzsaubere Leistung ab, der ihre Kollegen an Schlagzeug und Bass derweil in nichts nachstehen.

ARCH ENEMY liefern eine Headlinershow im Kleinen

Alissa White-Gluz setzt in der Zwischenzeit den typischen Melodeath-Screams in „War Eternal“ und dem Klassiker „Ravenous“  drückende Death-Growls entgegen, wie wir es nur von den besten des Fachs gewohnt sind. In eine knappe Stunde packen ARCH ENEMY somit das komplette Repertoire: Singende Leadgitarren in „You Will Know My Name“, groovende Banger Marke „First Day In Hell“ und große Hymnen wie „The Eagle Flies Alone“, welches die Sängerin den anwesenden Metalheads widmet. Diese danken mit lautstarkem Stimmeinsatz beim abschließenden Publikumsliebling „Nemesis“, wo nicht nur der Refrain, sondern gleich noch die Leadgitarre mitgesungen wird. Hut ab, das war definitiv eine Headlinershow im Kleinen.

ARCH ENEMY Setlist

1. The World Is Yours
2. War Eternal
3. My Apocalypse
4. You Will Know My Name
5. Ravenous
6. The Eagle Flies Alone
7. First Day In Hell
8. As The Pages Burn
9. Avalance
10. Nemesis

AMON AMARTH

Ein großer Schwarzer Vorhang mit den AMON AMARTH-Runen verdeckt mittlerweile unsere Sicht auf die Bühne, als das traditionelle Streicherintro der Schweden erklingt. Die Meute, die noch kurz zuvor den Refrain von IRON MAIDENs „Run To The Hills“ lauthals mitgesungen hatte, drängt sich jetzt immer dichter vor die Bühne, um nach dem Startschuss den bestmöglichen Blick zu erhaschen – sowohl für sich selbst als auch für die Daheimgebliebenen, wie die Zahl der Handybildschirme in der Menge nahelegen lässt.

Durch das Display lässt sich indes nur schwer einfangen, was kurz darauf in München passiert. Der Vorhang fällt mit den ersten Klängen von „Raven’s Flight“ und offenbart eine Horde Wikinger inmitten eines Flammenmeers. Dahinter thront ein überdimensionaler Wikingerschädel mit beleuchteten LED-Panels, auf dem Drummer Jocke Wallgren wie ein Feldherr den Takt vorgibt.

AMON AMARTH bescheren einen Auftakt nach Maß

AMON AMARTH sind offenbar in bester Spiellaune, wie dem Grinsen Johan Heggs unschwer zu entnehmen ist. Dass das Duo Mikkonen/Söderberg an den Sechssaitern lange nicht so virtuos agiert wie sein Pendant bei ARCH ENEMY, ist geschenkt. Für Frickelsoli ist heute niemand gekommen und kleine Ungenauigkeiten verlieren sich ohnehin im Gebrüll der tosenden Menge. Es ist ein Auftakt nach Maß, der uns nicht nur mitreißt, sondern umgehend wieder zum AMON AMARTH-Jünger konvertiert.

Wir sind von uns selbst überrascht, dass wir nach all den Jahren immer noch den Text von „Runes To My Memory“ fehlerfrei mitbrüllen können, während hinter dem schwedischen Fünfgespann riesige Runen in Flammen stehen. Der unsterbliche Klassiker „Death In Fire“ setzt dem Inferno schließlich die Krone auf und katapultiert die Stimmung in der ausverkauften Halle jenseits des Siedepunkts.

Sänger Johan Hegg verspricht ein großes Wikingerfest

Dass der Ton relativ wechselhaft abgemischt ist, tut der Situation keinen Abbruch. Die Fans kennen ohnehin jedes Wort und jedes Gitarrenlead, das im Fall von „Deceiver Of The Gods“ lauthals mitgesungen wird. Frontmann Johan Hegg könnte sich also eigentlich einen gemütlichen Abend gönnen, ist aber selbst viel zu motiviert, um die Bühne anderen zu überlassen. Vielmehr nutzt er jeden Quadratmeter der Aufbaut, um auch wirklich alle angereisten Fans persönlich aufzurütteln.

Ein großes Wikingerfest verspricht der Sänger in einwandfreiem Deutsch zu Beginn und nach gerade Mal 20 Minuten wollen wir ihm nicht mehr widersprechen. Zwar sind AMON AMARTH mit einem überraschungsarmen Set angereist, dafür gibt es einiges an Schauwerten: Während uns zunächst der nordische Gott Loki selbst mit grün leuchtenden Augen verwünscht, dürfen wir bei „The Way Of Vikings“ einem kleinen Schaukampf auf der Bühne beiwohnen.

Arm an Überraschungen, aber reich an Schauwerten

Ähnlich wie die energische Schlachtenhymne „Shield Wall“ funktioniert das rhythmische „Crack The Sky“, wo die Menge unter Anleitung Heggs im Takt auf und abspringt, im Live-Kontext ausgezeichnet. Dass Teile des neuen Albums „Berserker“ augenscheinlich für die Bühne geschrieben wurden, belegt der Frontmann sogleich. Nachdem er eine Replika von Thors Hammer „Mjölnir“ gen Himmel gestreckt hatte und daraus Funken emporgeschossen waren, antwortet der Donnergott im Finale des Songs mit einem Schauer aus Sternschnuppen – beeindruckend.

Die zahlreichen Showeffekte sind aber bei weitem nicht der einzige Kniff, den sich AMON AMARTH ausgedacht haben, um das vergleichsweise konservative Set – vom neuen Album „Berserker“ gibt es gerade Mal vier Stücke – spannend zu halten. Im ausladenden „Prediction of Warfare“ staunen wir nicht schlecht, als im ruhigen Zwischenteil der riesige Wikingerhelm samt Schlagzeug gute sechs Meter in die Höhe fährt und dort bis zum Ende des regulären Sets bleiben soll. Ähnlich hoch ragen die mit Luft gefüllten Statuen, die ab „Guardians Of Asgaard“ eine imposante Kulisse für den letzten Akt bilden.

AMON AMARTH beenden ihren Auftritt mit einem Knall

Für das Finale haben sich AMON AMARTH natürlich die ganz schweren Dinger aufgehoben: Ohne „The Pursuit Of Vikings“ geht es schlicht nicht – das wissen wir spätestens dann, wenn fast 6000 Metalheads den Text von Anfang bis Ende leidenschaftlich mitbrüllen. Der Überhit „Twilight Of The Thunder God“, bei der sich die riesige Midgardschlange um die Bühnenaufbaut windet, ist letztendlich die Kür, die einen 85-minütigen Auftritt mit einem Knall beendet.

Als Außenstehender klingt das sicherlich wie Kitsch und Metal-Kirmes. Und bis zu einem gewissen Grad ist es das auch. Bedruckte Trinkbecher, Merchandise zu astronomischen Preisen, viel Spektakel und demnächst in England auch ein Tattoo-Studio vor Ort – AMON AMARTH wissen, wie sie ihre Marke zu Geld machen. Gleichzeitig wissen sie aber auch, dass das alles ohne Spielfreude und Leidenschaft nicht funktionieren würde. Zwei Eigenschaften, welche die sympathischen Schweden schon vor 15 Jahren in der kleinen Backstage-Halle auszeichneten und auch heute noch in jeder Minute auf der Bühne zu spüren sind.

AMON AMARTH Setlist

1. Raven’s Flight
2. Runes To My Memory
3. Death In Fire
4. Deceiver Of The Gods
5. First Kill
6. Fafner’s Gold
7. Crack The Sky
8. The Way Of Vikings
9. Prediction Of Warfare
10. Shield Wall
11. Guardians Of Asgaard
12. Raise Your Horns
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13. The Pursuit Of Vikings
14. Twilight Of The Thunder God

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