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AFTER THE BURIAL, POLAR, MAKE THEM SUFFER, SPIRITBOX: Backstage Halle, München, 9.3.2020

Mit Nudeln, Klopapier und Knäckebrot bereitet sich Deutschland auf den kommenden Ausnahmezustand vor. In den Schlagzeilen lesen wir seit Tagen nur noch von Infektionsraten, leergeräumten Regalen in den Supermärkten und Lieferengpässen bei diversen medizinischen Schutzartikeln. Während die bayerische Regierung gerade eine Verordnung vorbereitet, um Großveranstaltungen ab 1000 Besuchern zeitweise auszusetzen, machen wir uns auf den Weg zum altgedienten Backstage-Gelände. Leichtfertig, möchte man angesichts der drohenden Pandemie meinen, doch sind wir mit diesem Vorhaben offenbar nicht alleine. Für rund 300 Besucher scheint hier die Welt noch in Ordnung zu sein – zumindest für ein paar Stunden, denn AFTER THE BURIAL haben zur Headliner-Tour geladen. Im Paket mit dabei: Die Briten POLAR, die australische Synth-Deathcore-Formation MAKE THEM SUFFER und der Art Rock/Metalcore-Verschnitt SPIRITBOX.

SPIRITBOX

blankFür die frühe Zeit herrscht um halb acht schon buntes Treiben in der gemütlichen Backstage Halle. Eine gute Ausgangslage für SPIRITBOX also, die ohne Umschweife pünktlich loslegen. Ein bisschen matschig ist der Sound anfangs noch, fängt sich aber spätestens dann, als Sängerin Courtney LaPlante (IWRESTLEDABEARONCE) ihre Stimme erhebt. Verträumte, schwebende Passagen münden in heftigen Ausbrüchen, die gerne Mal im Djent wildern und damit schon früh einen Nerv treffen. Nicht nur Gitarrist Mike Stringer geht sichtlich in der Musik auf, auch vor der Bühne kreisen immer mehr Mähnen im Takt.

Es möge Montagabend sein, aber das sei kein Grund für Ausflüchte, wie uns die Frontfrau bald erklärt: Man habe Morgen einen freien Tag – die in Mailand angesetzte Show muss aufgrund der Corona-Krise ausfallen – und müsse sich daher nicht zurückhalten. Die Münchner wiederum haben dies ohnehin nicht vor, wie wir dem Pit während des eigentlich recht poppigen „Blessed Be“ entnehmen können. Der Stilmix aus donnerndem Metalcore und filigranen Art Rock-Arrangements ist dabei so originell wie aufrüttelnd. Wenn wir nicht zu Bangern wie „The Beauty Of Suffering“ oder dem noch unbetitelten neuen Stück mit seinem mörderischen Breakdown unsere Halsmuskulatur auf die Probe stellen, genießen wir die harmonischen Arrangements und progressiven Bassläufe von „The Mara Effect, Pt. 3“, zu denen Courtney LaPlante leichtfüßig über die Bühne tänzelt. Der einzige Wermutstropfen: Trotz Zugabe-Rufe in der Halle bleibt es für SPIRITBOX bei knackigen 25 Minuten.

blankSPIRITBOX Setlist

  1. Rule Of Nines
  2. Blessed Be
  3. The Beauty Of Suffering
  4. ‘Untitled’
  5. The Mara Effect, Pt. 3

Fotogalerie: SPIRITBOX

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MAKE THEM SUFFER

blankWenn wir ehrlich sind, haben wir genug von diesem aktuellen Konzert-Trend, den folgenden Auftritt mit irgendeinem bekannten Song über die PA-Anlage einzuleiten. Immerhin beweisen MAKE THEM SUFFER etwas Humor: DARUDEs „Sandstorm“ ist nicht nur ein Internet-Meme, sondern als Intro vor dem Intro zumindest nicht komplett abwegig, denn mit elektronischen Klängen kennen sich die Australier bestens aus.

Nicht, dass wir anfangs allzu viel davon mitbekommen würden – zunächst ist der Sound in der Backstage Halle noch etwas dumpf. Dafür drückt die Doublebass ordentlich, während die tief gestimmten Gitarren unser Zwerchfell massieren. „Vortex“ ist ein massiver Opener, den wir in dieser Intensität nicht erwartet hatten. Ganz so humorlos soll es jedoch nicht bleiben: Im weiteren Verlauf bessert sich der Mix und die atmosphärischen Synthie-Teppiche von Booka Nile treten stärker in den Vordergrund. „Ether“ wirkt auch dank des federleichten Gesangs der Keyboarderin geradezu schwerelos, woraufhin sich auch die Beine der Münchner zusehends vom Boden lösen.

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Gitarrist Nick McLernon
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Sänger Sean Harmanis

Bei MAKE THEM SUFFER gibt es eine gute halbe Stunde Vollbedienung

Ob im Circle Pit oder beim gemeinsamen Springen, die Resonanz vor der Bühne ist von der ersten Minute an groß. MAKE THEM SUFFER ist das sichtlich recht, denn Selbstbeherrschung kennen die Australier bestenfalls aus dem Wörterbuch: Wo Keyboarderin Booka Nile hinter ihrem Instrument regelmäßig wie ein Model posiert, lassen Bassist Jaya Jeffrey und Gitarrist Nick McLernon permanent den inneren Rockstar heraushängen. Und Fronter Sean Harmanis? Der brüllt sich vorne die Seele aus dem Leib, während er unaufhörlich versucht, das Publikum von Circle Pit bis Wall of Death zu neuen Höchstleistungen anzustacheln.

Mit seinem verspielten Piano wird „Uncharted“ zu einem kleinen Farbtupfer im sonst relativ brachialen Set, obgleich Sänger Harmanis den Münchnern an einer Stelle unter die Arme greifen muss: Mit Verweis auf Drummer Jordan Mather gelingt es den Fans schließlich doch noch, beim Klatschen den richtigen Takt zu finden. Doch sei’s drum, das Moshen klappt dafür umso besser, weshalb uns der heftige Abschluss „Widower“ nach einer guten halben Stunde auch mehr als bedient zurücklässt.

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Booka Nile verleiht vielen Songs einen schwerelosen Charakter.

MAKE THEM SUFFER Setlist

  1. Vortex (Interdimensional Spiral Hindering Inexplicable Euphoria)
  2. Ether
  3. Hollowed Heart
  4. Grinding Teeth
  5. Uncharted
  6. Blood Moon
  7. Widower

Fotogalerie: MAKE THEM SUFFER

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POLAR

blankPunkt neun parkt plötzlich ein Vierzigtonner in unserem Gesicht. Während wir uns noch verwundert den Kiefer einrenken, reißen POLAR bereits das Backstage ab. Wir haben die Briten ja bereits im vergangenen Jahr in München erlebt. Was aber ein ganzes Jahr auf Tour ausmachen kann, haben wir nicht bedacht. Diese Energie, die schon bei „Devil“ komplett vereinnahmend ist, verschlägt uns tatsächlich die Sprache.

Auf den Brettern herrscht ständig Bewegung, während Fronter Adam Woodford mit strenger Miene und viel Power die Masse mobilisiert. Schon bald gehen zahlreiche Fäuste in die Luft, bis sich zu „Prey“ in der Mitte der Halle der erste Pit formiert. Natürlich profitieren POLAR heute vom gut abgemischten Sound. Die brachialen Songs, die an diesem Abend auf der Setlist stehen, haben aber für sich genommen schon eine Durchschlagskraft, die ihresgleichen sucht. Dass Sänger Woody für „Breathe“ das Areal vor sich zum Kriegsgebiet erklärt, scheint da eigentlich überflüssig: Im Backstage wird es so eng wie stickig, als der Moshpit immer größere Ausmaße annimmt.

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POLAR merkt man die Tour-Erfahrung an.
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Bassist Jonny Bowman lässt es krachen.

POLAR bieten eine elektrisierende Demonstration von Leidenschaft

Für den hochmotivierten Frontmann scheinbar nicht genug, denn während des Klassikers „Blood For Blood“ springt dieser selbst ins Geschehen, um den Circle Pit abzustecken, nachdem die Fans kurz zuvor noch lautstark den Refrain gesungen haben. Zwischendurch finden immer wieder Crowdsurfer den Weg nach vorne, denen die Musiker aufgrund des fehlenden Grabens kurzerhand auf die Bühne helfen, von wo es auf Händen wieder zurück Richtung Mischpult geht.

Ein wenig verrückt ist das Schauspiel schon, denn Band wie Publikum zeigen bis zum Schluss weder Ermüdungserscheinungen noch Hemmungen. Im Gegenteil, Woody begibt sich zum Finale „Drive“ einmal mehr mitten ins Geschehen, um die erste Single des aktuellen Albums „Nova“ zusammen mit den Fans zu singen. Ein Albtraum für Virologen und gleichzeitig eine elektrisierende Demonstration von Leidenschaft, die wir in dieser Form nur in kleinen Clubs miterleben können.

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POLARs Auftritt vergeht wie im Flug.

POLAR Setlist

  1. Mære (Intro)
  2. Devil
  3. Prey
  4. Tidal Waves And Hurricanes
  5. Breathe
  6. Blood For Blood
  7. Dusk (Interlude)
  8. Midnight
  9. Drive

Fotogalerie: POLAR

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AFTER THE BURIAL

blankMit so viel Kraft in den Gliedern der Münchner braucht es nicht viel, um die Halle auf Betriebstemperatur zu halten. Ein Intro schenken sich AFTER THE BURIAL daher, vielmehr geht es direkt mit „In Flux“ los. Ungewöhnlich in der heutigen Zeit, aber auch erfrischend ‚normal‘, wie die Amerikaner mit ihrem Headliner-Slot umgehen. Das Quartett lässt ohnehin lieber die Riffs sprechen und davon gibt es eine ganze Menge.

Was Gitarrist Trent Hafdahl seiner neongelben Gitarre entlockt, ist meist rhythmusorientiert, wildert aber gerne zwischendurch in technischen Gefilden. Mit viel Groove nimmt uns der moderne Djent- / Metalcore-Verschnitt mit, wobei es bis zum geschickt platzierten Hit „Lost In The Static“ dauert, bis der Pit richtig in Fahrt kommt. Ab dann drehen Band und Fans aber richtig auf: Wenn nicht gerade gesprungen wird, zieht der Circle Pit während „Behold The Crown“ unaufhörlich seine Bahnen. Fronter Anthony Notarmaso sieht sich das Geschehen derweil oft stoisch, aber durchaus zufrieden an, während er seinerseits eine tadellose Leistung am Mikro zeigt.

AFTER THE BURIAL agieren engagiert und routiniert

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Bassist Adrian Oropeza ist kaum zu bremsen.

Aktivposten bei AFTER THE BURIAL ist zweifelsohne Adrian Oropeza am Tieftöner. Der Mann mag auf der kleinen Bühne nicht viel Platz haben und schafft es dennoch, sein Instrument in den aberwitzigsten Posen durch die Luft schwirren zu lassen. Davon abgesehen wirken die US-Amerikaner auf uns, dem sichtlichen Engagement zum Trotz, vor allem routiniert. Die Passion, die uns bei POLAR förmlich ins Gesicht gesprungen ist, finden wir bei den Amerikanern nicht in jeder Sekunde.

Vielleicht mag das auch der fehlenden Rhythmusgitarre geschuldet sein, die insbesondere Soli wie in „Cursing Akhenaten“ und der furiosen Leadgitarre in „Berzerker“ mehr Feuer unter dem Hintern machen würde. Verschmerzen können wir das indes problemlos. Warum? Nun, die Stimmung im Backstage ist exzellent, der Sound klasse und die Wall of Death in „Aspiration“ beeindruckend. So beeindruckend sogar, dass ein begeisterter Fan im Anschluss dem Frontmann ein Geschenk macht: Erst möchte Anthony Notarmaso den Ring gar nicht annehmen, freut sich dann aber aufrichtig über das Präsent.

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Sänger Anthony Notarmaso
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Trent Hafdahl hat eine Menge Riffs im Gepäck.

Die letzten Worte gehören einem Klassiker

Es mag eine kleine Geste sein, die allerdings die Beziehung zwischen AFTER THE BURIAL und ihren Anhängern bestens umschreibt. In größerem Umfang beobachten wir das wenig später bei „Laurentian Ghosts“, als zahlreiche Feuerzeuge und Smartphone-Leuchten die Halle in ein warmes Licht tauchen. Als eigentliche B-Side angekündigt, verstehen wir schnell, warum Sänger Anthony den atmoshphärischen Song als eines seiner besten Werke bezeichnet. Nach diesem Highlight bleibt nicht mehr viel zu sagen, weshalb die letzten Worte einem Klassiker gehören: „A Wolf Amongst Ravens“ zieht nach einer Stunde den Schlussstrich unter einen intensiven wie schweißtreibenden Konzertabend.

Es mag für absehbare Zeit der Letzte gewesen sein, wie wir noch auf dem Weg zur S-Bahn aus den Medien erfahren. Die Regierungsverordnung scheint nur noch Formsache zu sein, der weitgehende Stillstand des öffentlichen kulturellen Lebens bestenfalls eine Frage der Zeit. Mitnehmen können wir und rund 300 andere Münchner immerhin die Eindrücke dieses letzten Abends vor dem Ausnahmezustand. Es gibt sicherlich schlimmere Erinnerungen, um sich die Zeit zu vertreiben, wenn wir demnächst zwischen Bergen aus Klopapier und Nudelpackungen an unserem Knäckebrot knabbern.

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Bekam einen Ring geschenkt: Frontmann Anthony.

AFTER THE BURIAL Setlist

  1. In Flux
  2. Lost In The Static
  3. Collapse
  4. Behold The Crown
  5. Cursing Akhenaten
  6. Berzerker
  7. Aspiration
  8. Exit, Exist
  9. Anti-Pattern
  10. Laurentian Ghosts
  11. A Wolf Amongst Ravens

Fotogalerie: AFTER THE BURIAL, POLAR, MAKE THEM SUFFER, SPIRITBOX

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