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Geprägt vom großen Fluss – Interview mit AARA

blankEin Album, das so sehr begeistert, dass sich ein vampster-Alumnus genötigt fühlt, wieder aktiv zu werden, sollte allein schon Grund genug sein, aufzuhorchen. Und mehr noch, AARAs Zweitwerk „En Ergô Einai“ ist nicht das typische Black Metal-Geholze, es zeigt in knapp 34 Minuten das ganze Emotionsspektrum, gepaart mit außergewöhnlich gutem, impulsiven Songwriting, geht sowohl ins Ohr als auch ins Herz. Und nicht zuletzt bieten das Konzept über die Zeit der Aufklärung als auch die bisweilen komplexen Songstrukturen genügend Brainfood. Das Duo AARA, bestehend aus Instrumentalist und Komponist Berg und Sängerin und Lyrikerin Fluss, das erst am Anfang seiner Karriere steht, steht per Mail Rede und Antwort.

AARA mögen eine junge Band sein, aber die Musik klingt nicht, als wäre sie von jemandem komponiert worden, der erst seit 2018 in der Szene ist. Gibt oder gab es andere Projekte, an denen ihr beteiligt wart oder seid?

Berg: Was wir vor AARA gemacht haben, spielt für das Projekt überhaupt keine Rolle. AARA steht für sich allein. Die Musik und die Konzepte sind das Einzige, was von Bedeutung ist.

Berg und Fluss sind eure Pseudonyme, ansonsten wählt ihr die Anonymität. Berge und Flüsse hängen eng zusammen, viele Flüsse entspringen Bergen. Ich gehe davon aus, dass die Pseudonyme nicht zufällig gewählt wurden und ihr auch mehr als nur Bandkollegen seid. Richtig?

Fluss: Die Namen wurden bezüglich des Bandnamens gewählt, denn auch die Aare entspringt an einem Berg, des Weiteren beschreiben sie, wie ich finde, auch ganz gut unsere jeweils unterschiedlichen Charakterzüge.

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“Genauso wie sich die Musik von gewöhnlichem Black Metal unterscheidet, unterscheiden sich die Kostüme von der klassischen Ästhetik des Black Metals”: AARA sind auch visuell einzigartig.

Ihr präsentiert euch sehr stilvoll auf dem Foto. Die Masken, der Hintergrund – das wirkt anders als bei dem Gros der Black Metal-Bands. Gerade die Maske von Berg ist interessant. Darauf ist ein schelmisches Grinsen zu erkennen – outest Du Dich als Trickster? Wie wichtig ist euch die visuelle Ästhetik? Und wo ist diese wunderschöne Bibliothek?

Berg: Genauso wie sich die Musik von gewöhnlichem Black Metal unterscheidet, unterscheiden sich die Kostüme von der klassischen Ästhetik des Black Metals. Sie bleiben aber dem eigentlichen Zweck der Anonymisierung und der Schaffung von etwas Mysteriösen treu.

Der Trickster ist eine der ältesten mythologischen Figuren und in fast allen Kulturkreisen zu finden. Er vereinigt verschiedenste Gegensätze in einer Person und wird so zu einer Repräsentation der Vieldeutigkeit des Lebens selbst. Gleiches versuche ich in der Musik auszuführen. Die Lieder besitzen einen ständigen Wechsel an Emotionen. Eine Melodie kann sich freudig und hoffnungsvoll aufbauen und in der nächsten Sekunde in Kälte und Trauer brechen. Das ist etwas, das AARA von vielen Black Metal Bands unterscheidet, welche sich strikt auf die typischen Emotionen festlegen. Wir versuchen alles zu vereinen.

Fluss: Genau verraten möchten wir nicht wo die Bibliothek zu finden ist. Jedoch kann gesagt werden, dass diese in der Schweiz gefunden werden kann.

Soweit ich weiß, seid ihr bisher ein reines Studioprojekt. Wollt ihr in Zukunft daran etwas ändern und live auftreten?

Berg: Wir verspüren nicht gerade das Bedürfnis jedes Wochenende irgendwo in einem Club oder Jugendzentrum zu stehen, daher haben wir nicht geplant live aufzutreten, sagen aber nicht dass es gar nie dazu kommen wird. Wir möchten erst sehen wie sich das Projekt entwickelt.

Die Kompositionen wirken einerseits durch die Melodik gradlinig, andererseits, wie in „Entelechie“ doch komplex und schwer greifbar. Welche Stücke reizen mehr, sie zu komponieren?

Berg: Die Lieder entwickeln sich meist wie von selbst. Es geht rein um das Gefühl, welches vermittelt werden soll und nicht um musiktheoretisches Konstruieren von Melodien. Wir machen das was uns spontan gefällt und wir als passend erachten.

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AARAs zweites Album “En Ergô Einai” erschien im Aprl 2020.

Generell sind aber Lieder wie „Stein auf Stein“ so geschrieben, dass sie mit Steichquartett und Piano umarrangiert auch Klassikstücke sein könnten. War das euer Ziel im Songwriting? Was hat euch generell musikalisch beeinflusst?

Berg: „Stein auf Stein“ hat den stärksten „Kammermusik-Einfluss“ erfahren. Die Texte des zweiten Albums sind stark von den Gedanken der Aufklärung im 18. Jahrhundert beeinflusst, daher schien es nur passend, sich auch musikalisch etwas auf diese Zeit zu beziehen.
Für AARA ist der Einfluss von klassischer Musik prägend, wobei die musikalische Inspiration im Generellen sehr breit ist. Alles was einem gefällt, hat mehr oder weniger einen Einfluss – bewusst und unbewusst.

Statt auf ausufernde Keyboards zu setzen, sind die Gitarren extrem gut ausgearbeitet. Die Musik klingt dabei trotz aller Komplexität recht eingängig, besonders in „Arkanum“ und „Telós“. Wie viele Spuren sind da maximal zu hören? Und wie aufwändig ist die Komposition eines Liedes?

Berg: In den extremsten Ausuferungen sind zwei unterschiedliche Rhythmus-Spuren zu hören, über die zwei unterschiedliche Leadgitarren laufen. Die Komposition ist nicht sonderlich aufwändig. Ich versuche möglichst schnell mit einem Lied fertig zu werden. Sobald zu lange an einem Stück gearbeitet wird, zerfällt es und wird leer. Die Spontanität macht viel aus, davon lebt die Musik letztendlich.

Die Aare kommt nicht nur im Bandnamen vor, ihr habt auf beiden Alben ein Stück dazu. Gerade „Aargesang“ hat mich sehr bewegt – der Ambientpart am Anfang, dann die Eruption hinterher –  da ist viel Leidenschaft, aber auch Trauer zu hören. Was verbindet ihr mit dem Fluss?

Fluss: Für uns ist die Aare wie ein roter Faden, der die Schweiz durchzieht und die verschiedenen Orte an denen wir leben und gelebt haben, geprägt hat. Dadurch entstand eine gewisse Verbundenheit. Für mich ist es auch ein Ruhepol und, zumindest innerhalb eines Lebens, eine Konstante in einer sich schnell verändernden Welt. Ich verweile gern an verschiedenen Plätzen entlang des Flusses zum Nachdenken und auch Texte schreiben.

Auf „En Ergô Einai“ ist ein Schlagzeuger dabei, der mit wunderbarer Energie und großem Furor spielt. Inwiefern hatte er Anteil an der Entstehung der Lieder? Ist er nun fest im Bandgefüge?

Berg: Ja, J. macht einen super Job. Beim Songwriting selbst war er nicht beteiligt, allerdings bringt er durch sein Schlagzeugspiel einiges an Dynamik und Variation mit ein. Wir werden das nächste Album auf jeden Fall wieder zusammen machen.

Auch klanglich ist „En Ergô Einai“ bemerkenswert. Das Debüt klang recht verwaschen, die Drums, bzw. der Drumcomputer ging recht unter – aber auch das hatte seinen Reiz. Auf dem aktuellen Album sind die Gitarren voluminös und trotzdem schön crunchy, der Bass ist wuchtig und das Schlagzeug ist absolut brachial. Seid ihr mit der Aufnahme zufrieden? Und wäre es für euch reizvoll, das Debüt mit diesem Sound neu aufzunehmen?

Berg: Wir sind mit den Aufnahmen zufrieden – es ist aber immer Luft nach oben. Wir werden für das nächste Release im gleichen Studio aufnehmen, aber den Sound etwas anders „abstimmen“. Das erste Album ist, was es ist. Es macht keinen Sinn, „So fallen alle Tempel“ nochmals aufzunehmen, nur um den Klang zu ändern. Die Atmosphäre ist das, was Bedeutung hat, und nicht eine saubere Produktion.

Ich fand gleich beim ersten Hören des Debüts das Geschrei von Fluss brillant und bekam schon vom Hören Halsschmerzen. Hat sie eine Technik, die nicht so sehr auf die Stimmbänder geht? Stammen die Chöre in „Telós“ auch von ihr?

Fluss: Ich habe mir eine Technik angeeignet, um den Gesang, so wie er ist, hinzubekommen, ohne mir dabei die Seele aus dem Leibe zu husten. Dazu kommen natürlich auch eine Menge Reverb und Hall auf die Stimme, was den Effekt unterstützt. Ich persönlich sehe noch viel Verbesserungspotential an meiner Stimme und übe deshalb vermehrt für neue Aufnahmen. Bei den Chören handelt es sich aber um Samples, jedoch könnte ich mir im Falle einer Liveperformance schon vorstellen, gewisse Stellen davon zu übernehmen.

Textlich finde ich in allen Stücken einen Protagonisten, dessen Weltbild zerbrochen ist. Das passt zum Textkonzept, in dem ihr euch dem Zeitalter der Aufklärung widmet. Von der Verzweiflung darüber geht es zur Akzeptanz, was sich in der schönen Textzeile „Dort brennen alte Weltenbilder, im Chaos wie im Nichts liegt doch zuletzt Harmonie“ ausdrückt. Was fasziniert euch daran?

Fluss: Ich denke es sind grundlegende, philosophische Gedanken, die die meisten Menschen seit jeher beschäftigen und in jedem von uns gibt es einen Moment, in dem ein altes Weltbild zerbricht. In der Aufklärung finden diese Gedanken und die dadurch aufgeworfenen Fragen einen besonders deutlichen Ausdruck, weshalb wir uns für „En Ergô Einai“ von diesem Zeitalter haben inspirieren lassen. Das grundsätzlich Menschliche übt wahrscheinlich die Faszination daran aus, dabei ging es auch darum, einen positiven Blickwinkel auf die menschliche Genialität zu werfen, die besonders durch die Wissenschaften ab der Aufklärung aufblühte.

Spannend ist, dass in diesen turbulenten Zeiten von COVID-19, wo die Wirtschaft schweren Schaden nimmt, also die Tempel der westlichen Welt fallen, von einigen Seiten die Rede ist, dass jetzt ein neues Zeitalter anbrechen könnte, also das, was ihr in gewisser Weise in „En Ergô Einai“ thematisiert. Für mich ist euer Konzept also auch dem Zeitgeist entsprechend. Habt ihr da eigene Gedanken dazu?

Fluss: Weltbilder und Systeme sind seit jeher inexistente Konstrukte, die nur auf dem gemeinsamen Glauben einer Gesellschaft basieren und funktionieren. So wie jeder materielle „Tempel“ irgendwann zerfallen wird, sind es auch diese Konstruktionen die nicht ewig währen können und früher oder später zu Fall kommen werden. Ich denke im Moment werden viele Fehler und Probleme im System erkannt und aufgedeckt, zu hoffen bleibt, dass sich dadurch Lehren ziehen, die zu einer Verbesserung führen.

Die optische Komponente ist ebenfalls fantastisch. Das Cover passt sehr gut zur Musik, ist stimmungsvoll und exzellent gearbeitet – man würde nicht glauben, dass es aus dem Jahr 2019 ist, wenn man es nicht wüsste. Der Künstler heißt Michael Handt, und er hat meines Wissens in der Metalszene bisher nicht gearbeitet, richtig? Wie seid ihr auf ihn gestoßen?

Berg: Wir interessieren uns für Kultur, Kunst und Architektur. Michael Handt ist ein junger Künstler aus Deutschland, welcher hauptsächlich Landschaften im Stil der Romantik malt. Wir wollten nicht einfach ein Werk eines alten Meisters verwenden, sondern eine Zusammenarbeit mit jemandem mit dem man sich über Ideen austauschen kann, um gemeinsam etwas zu kreieren. Michael ist extrem gut in dem, was er macht, und wird auch bei den nächsten Konzepten der Künstler unserer Wahl sein.

Schön, dass ihr Vindsval von BLUT AUS NORD und YERUSELEM als Gastmusiker gewinnen konntet. Kam die Zusammenarbeit über euer Label DEBEMUR MORTI zustande, oder kennt ihr euch schon länger? Wie fühlt es sich an, so eine Legende auf eurem Album zu haben?

Berg: Der erste Kontakt kam zu Beginn der Zusammenarbeit mit DEBEMUR MORTI zustande. BLUT AUS NORD gehört zu meinen Favoriten und ihm gefällt, was wir machen. So kamen wir letztendlich zu dem Intro von „Arkanum“, welches sich klanglich an dem Lied „Sound Over Matter“ von YERUSELEM orientiert. Für mich spielt der „Legenden-Status“ keine Rolle.

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Ihr Debütalbum veröffentlichen AARA mit “So fallen alle Tempel” im Frühjahr 2019.

„So Fallen alle Tempel“ wurde auf NATURMACHT veröffentlicht, bevor ihr zu DEBEMUR MORTI gestoßen seid. Hat Phil euch gefunden, oder ihr ihn? Wie verläuft die Zusammenarbeit bisher?

Berg: Phil hat uns kontaktiert und eine Zusammenarbeit vorgeschlagen, ansonsten wäre „En Ergô Einai“ bei NATURMACHT veröffentlicht worden, welche ebenfalls eine top Labelarbeit machen. Wir sind sehr zufrieden mit der Zusammenarbeit und den Möglichkeiten, die wir haben. Phil ist ein super Typ, der für jegliche Ideen offen ist.

Das Debüt erschien nur auf CD und ist mittlerweile ausverkauft. Plant ihr eine Wiederveröffentlichung, eventuell auch auf Vinyl, mit der Bonus 7“ „Anthropozän“?

Berg: Ja, das erste Album wird wohl auf Vinyl veröffentlicht werden. Für die Veröffentlichung von „Anthropozän“ gibt es momentan keine Pläne.

Album Nummer 3 soll ja schon in Arbeit sein. Welche Pläne haben AARA ansonsten in der Zukunft?

Berg: Jetzt steht erstmal das dritte Album im Fokus. Das Album soll Teil einer kleinen Reihe von Alben sein, somit wird parallel dazu bereits an den Ideen für die Folgenden gesponnen, damit daraus eine runde Sache entsteht. Alles Weitere wird sich zeigen.

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