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VOIVOD: The End of Dormancy (EP)

Man soll sich ja immer wieder Herausforderungen stellen, seinen Ängsten begegnen oder sich mit Sachen, die man nicht mag konfrontieren, um zu prüfen, ob die Abneigung weiterhin Bestand hat. Zum letztgenannten gehört es für mich auf jeden Fall, sich eine EP anzuhören, die eigentlich von einer Metal-Band kommt, aber größtenteils von Bläsern bestimmt ist, und nicht von Gitarren.

TÄTERÄTÄ! Blasinstrumente, also die aus Blech, sind eine Instrumenten-Gruppe, die sich mir einfach nicht erschließt. Warum sollte ein Musiker das Bedürfnis haben, eine Fahrrad-Hupe zu bedienen anstelle von einem richtigen Instrument? 

In meiner Welt kann man noch den besten Song mit dem Einsatz eines knarzig-pupsenden Saxophons völlig versauen. Vermutlich liegt das an meiner musikalischen Sozialisation in den 80ern. Sobald ich ein Saxophon höre, habe ich Visionen von Menschen in pinken Sakkos inkl. Schulterpolster vor Stahlgerüst-Kulissen in Musik-Videos mit viel zuviel Weichzeichner. Und Dauerwellen. Bei erwachsenen Männern! Das könnte man wohl als traumatisiert bezeichnen. Trompeten sind auch schlimm, aber anders, denn da klopft in meiner Vision Kommissar Derrick an die Tür und fragt, wo ich am Mittwoch, den 30.11. um 22:30 Uhr war. – Am Mittwoch, den 30.11. um 22:30 Uhr sagen Sie?  – Ja, Mittwoch, der 30.11. um 22:30 Uhr! – Warten, Sie, Herr Kommissar, um diese Zeit wurde doch der Saxophonist ermordet? – Das erwähnte ich nicht, woher haben sie diese Information? – Das habe ich in der Zeitung gelesen! Das müssen Sie mir glauben! Ich war zu Haus in meiner geschmacklos eingerichteten Villa in Grünwald und sah eine Sendung im Fernsehen, ja, eine Unterhaltungs-Sendung war das, ich erinnere mich genau…..Aaarrrgh!

VOIVOD sind per se genial und vertrauenswürdig

Aber andererseits sind VOIVOD, eben auch VOIVOD, also per se genial und vertrauenswürdig. Und deswegen erscheint es lohnend, sich mal wieder herauszufordern. Und man kann vollumfänglich sagen,  die Herausforderung ist geglückt. Bereits die ersten Töne von „The End of Dormancy (Metal Section)“, eigentlich ein Track vom wie ich finde sehr gelungenen 2018er Album „The Wake“ , klingen nach Big-Band-Krimi-Soundtrack, Derrick hebt schon die schlaffe Hand um zu klopfen, als plötzlich doch richtige Instrumente zu hören sind. Die Band spielt ja Gott sei Dank komplett mit, wenn auch nicht mit Vollgas, aber selbst mit angezerrtem, leicht jazzigem Gitarren-Sound klingt es erstaunlich gut rund und geht ordentlich nach vorne. Tatsächlich ist es faszinierend, wie aggressiv und psychopathisch auch die Bläser in diesem Kontext klingen und wie homogen sich das mit dem Sound der Band zusammenfügt. Und es ist ja auch deutlich mehr Jazz als 80er-Gebläse. Insofern wird mein oben beschriebenes Trauma nur mäßg getriggert und auf eine absurde Art gefällt mir diese Interpretation des Songs richtig gut.

Das Jazz-Experiment ist gelungen

Dass ein Song der Kanadier im Jazz-Kontext so gut funktioniert, spricht eindeutig für die Qualität des Songmaterials und dass die Band sich einen recht neuen Song anstatt eines Klassikers für dieses Experiment aussucht, spricht für ihr Selbstbewusstsein. Insgesamt muss man konstatieren, dass das Experiment gelungen ist, weil die Musik von VOIVOD im Kern schon so komplex und eigenständig angelegt ist, dass sie auch in einem solchen Kontext richtig gut funktionieren kann, trotzdem aber immer als VOIVOD erkennbar bleibt.

Die zusätzlich enthaltene Live Version des gleichen Tracks vom Montreal Jazz Fest 2019, ebenfalls mit Bläser-Arrangements, ist interessanterweise einen Tick schneller als die Studio-Version, aber ansonsten identisch. Als dritter Track ist „The Unkown Knows“ vom Kult-Album „Nothingface“ aus dem Jahr 1989 im “normalen” Arrangement als Live Version vom Montreal Jazz Fest 2019 enthalten und beweist einmal mehr, wie großartig und qualitativ hochklassig bei aller Experimentierfreudigkeit das musikalische Schaffen der Kanadier ist, denn der Track ist mal überhaupt nicht gealtert und wirkt auch heute genauso frisch und genial wie damals. Ich habe mich sogar dabei ertappt, für eine Nano-Sekunde lang zu denken, wie das wohl klingen würde, wenn da auch die Bläser dabei wären…..

Release Date: 10.07.2020

Label: Century Media Records

VOIVOD “The End Of Dormancy” EP Tracklist

Side A:
The End Of Dormancy (Metal Section) [08:15] (Video bei YouTube)
Side B:
The End Of Dormancy (Live Montreal Jazz Fest 2019) [09:08]
The Unknown Knows (Live Montreal Jazz Fest 2019) [05:08]

Besetzung:

  • Denis “Snake” Belanger – Vocals
  • Daniel “Chewy” Mongrain – Guitar
  • Dominic “Rocky” Laroche – Bass
  • Michel “Away” Langevin – Drums
  • Metal Section:
  • Trumpet I: Dominic Léveillé
  • Trumpet II: Maxime St-Pierre
  • Tenor Sax: François D’Amours
  • Tenor Trombone: Renaud Gratton
  • Bass Trombone: Jean-Sébastien Vachon
  • Arrangement: Daniel “Chewy” Mongrain

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