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SIX FEET UNDER: Nightmares of the Decomposed

Oh Mann – Warum hab ich mir das angetan? Ich habe hier schon SIX FEET UNDER positiv reviewt und bin durchaus offen für eine anständige Portion Stumpfheit. Und auch wenn andere das schon länger uninspiriert und langweilig fanden, konnte ich dem Werk der austauschbaren Begleit-Musiker um CANNIBAL CORPSE-Veteran Chris Barnes durchaus noch etwas abgewinnen, was nicht zuletzt mit dem kongenialen Gegrunze zu tun hatte. Und jetzt sind CANNIBAL CORPSE-Veteran Jack Owen und er auf einer gemeinsamen Platte zu hören, das klingt doch eigentlich reizvoll, oder nicht?

Die Vorab-Tracks waren dann allerdings schon etwas, gelinde gesagt, beunruhigend, aber so ein Desaster, welches „Nightmares of the Decomposed“ schließlich geworden ist, hätte ich dann doch nicht erwartet.

Beginnen wir mit den Positiven: Knackiger Gitarren-Sound mit schönem Low-End.

Kommen wir zum Negativen: Der ganze Rest.

Ende des Reviews.

Ok, so einfach machen wir es uns nicht. Man gibt sich ja schließlich etwas mehr Mühe, immerhin geht es um Metal, also etwas, das wir heiß und innig unser Leben lang lieben. Ein Rat, den leider nicht jeder der Beteiligten an diesem Machwerk beherzigt hat. Dazu später mehr…

Qualitäts-Schwankungen in der Diskographie

Viele Besetzungs-Wechsel und die Tatsache, dass der Bandleader Chris (bis auf die Texte) traditionell eher wenig mit dem Schreiben der Musik zu tun hatte, führte dazu, dass die Diskographie seiner Band ohnehin schon starke Qualitäts-Schwankungen aufweist, von den Klassikern der Anfangszeit über die, sagen wir mal positiv, „extrem-routinierte“ Vorstellungen der letzten Phase der Besetzung mit Terry Butler und Steve Swanson, bis zur zwischenzeitlichen erneuten Hochphase mit den Alben “Undead” und “Unborn“, war von tendenziell langweilig bis verzichtbar, von Klassiker bis richtig gut gelungen alles dabei. Auch die erste “Graveyard Classics“-Platte fand ich richtig gut. Die gefühlt drölfzig weiteren dann eher nicht mehr. Also, jede neue Platte ist durchaus erstmal eine Wundertüte mit völlig ungewissem Qualitäts-Level.

Was bringt uns nun diese neue Platte? Einfache Antwort: Wir befinden uns mit dieser Platte in einer erneuten Schwäche-Phase der Diskographie, vermutlich sogar am tiefsten Punkt der Bandgeschichte überhaupt. Es ist einfach alles schlecht.

Nicht mal Reste-Rampe

Das Songwriting  auf “Nightmares of the Decomposed” klingt nicht nur nach Reste-Rampe, es klingt so, als habe es überhaupt nicht stattgefunden. Irgendwer hat von Jack Owen einen USB-Stick mit den übrig gebliebenen Riffs der letzten 25 Jahre bekommen, die völlig willkürlich nach dem Motto „4x Riff X, dann 8x Riff Y, zweimal Riff Z und dann wieder von vorne und das dreimal“ in 12 ca. 3-4-minütige Einheiten unterteilt wurden und fertig ist die Platte. Keiner der Songs hat einen mitreißenden oder dynamischen Aufbau, keine Überraschungen, keine Ideen, nichts. Im Info wird das dann euphemistisch als „a diverse collection that refuses to stay in one gear the whole time.“ beschrieben. Ja, so kann man es natürlich auch sagen. 

Es gibt wenige Songs, die so etwas wie Energie versprühen, in Ansätzen „Drink Blood, Get High“ oder der Opener „Amputator“, vielleicht noch Teile von „Labyrinth of Insanity“ aber auch diese Ansätze gehen unter im Treibsand aus Beliebigkeit und 08/15-Gerumpel, aus dem der Rest der Platte besteht. Hier wurde sich einfach mal so richtig überhaupt gar keine Mühe gegeben aus den teilweise ja sogar im Ansatz brauchbaren Riffs irgendetwas zu machen, was über das absolute Mindestmaß an Songwriting-Arbeit hinaus geht.

Chris hat Danzig

Aber das ist noch nicht das Schlimmste. Das Schlimmste ist, Chris Barnes hat DANZIG. Genau wie beim Schinken-Gott ist irgendetwas mit Chris passiert, dass er nicht mehr so klingt wie früher, sondern nur noch wie eine entfernte Erinnerung an eine stil-prägende, kraftvolle Stimme.

Der Gesang klingt in weiten Teilen so schlecht, als würde irgendein Schauspieler, der nicht in einer Death-Metal-Band singt, sondern in seiner Freizeit zwischen den Fernseh-Krimi-Drehs als “Entertainer” mit einer Chanson-Revue die eher kleineren Clubs der Republik halbwegs füllt und sich dabei so wunderbar kulturell vorkommt, also die Sorte Mensch, die auch im Sommer “wegen der Stimme!” einen dünnen roten Schal um den Hals knotet, in einer Freitag-Abend-Talkshow dem erstaunten Kleinstadt-Boheme-Publikum von Barbara Schöneberger und Co. vorführen, wie „dieses Death Metal“ denn so klingt und dazu mies rumröchelt und krächzt. Oder wie Leute, die beim zufälligen Death Metal hören sage: “Das kann doch jeder – Krrcchh! Kreuuuch!” Ihr wisst, was ich meine….

Entweder ist der Gesang unglaublich schlecht produziert und im Mix so radikal beschnitten worden, dass jeglicher Druck und jegliche Dynamik verloren gegangen ist oder – und das wäre schlimmer – es wurde tatsächlich so eingesungen. Leider ist Letzteres wahrscheinlicher, denn auch die Phrasierung ist miserabel. Vor allem bei schnelleren Parts hat man den Eindruck, der Gesang hätte Mühe der Musik zu folgen, von gelungenem Einfügen der Vocal-Parts in den Song ganz zu schweigen.

“Nightmares Of The Decomposed” klingt wie Flickschusterei zwischen Tür und Angel

Es entsteht der gleiche Eindruck wie bei den Riffs. Als hätte Chris die Texte als Sprachnachricht an den Produzenten geschickt und der hat dann die einzelnen Zeilen genau so willkürlich in den Songs platziert wie die Riffs von Jack Owen. Also einfach irgendwie, wird schon keiner merken. Auch hier kann man weder Herzblut noch irgendeine Form von Hingabe spüren. Das ist einfach nur schlecht. Das dann im Info zum Aufnahme-Prozess der Platte steht, “Tracked at various studios“ passt da nur umso besser ins Bild. Flickschusterei zwischen Tür und Angel.  

Selbst die typischen Ziegen-Mecker-Screams sind als solche quasi gar nicht mehr erkennbar, sondern klingen eher wie ein Quietschie-Hundespielzeug, auf das man aus Versehen drauf getreten ist. Man höre hierzu „The Noose“, wo das Ganze dann gleich mehrfach in den Strophen vorkommt, in denen Gesang und Drums dann zu allem Überfluss auch noch alleine spielen. Bei jedem dritten Mal, wenn dieser Part wiederholt wird, hat man das Gefühl, der Bass spielt absichtlich recht laut weiter, nur um den Gesang zu übertönen. Weil es ihm peinlich ist.

Dieser Kniff ist übrigens auch das Arrangement-Highlight des Songs. Und auf diesem Level befinden sich leider auch die restlichen Songs. Standard reiht sich an Klischee reiht sich an „ja, reicht schon so“ reiht sich an „So, über 3 Minuten im Kasten – nächster Song!“. Stangenware vom Billig-Arrangement-Laden um die Ecke, und da noch aus dem Regal mit beschädigter Ware. Ziellos, planlos, uninteressant.

“Nightmares Of The Decomposed” ist nicht mehr als eine Ansammlung von Song-Skizzen

Dass die Dateien, die ich (immerhin kein Stream) zum Download für dieses Review bekommen habe, dann auch noch hinter dem Songtitel im Dateinamen die Bezeichnung „FINAL“ tragen, mit der man während der Produktion z.B. den finalen Mix oder das finale Mastering intern kennzeichnet, ist bezeichnend. Selbst das Löschen dieser Kennzeichnung vor der Herausgabe war offenbar zu viel Aufwand. Vom Platten-Cover fange ich jetzt gar nicht erst an…

Warum hat man diese Ansammlung von Song-Skizzen, die man mit viel Liebe als Vor-Produktion bezeichnen kann, als reguläre Platte veröffentlicht, noch dazu mit diesem Gesang? Hier wäre noch ein Jahr Arbeit an den Songs die eindeutig bessere Variante gewesen und es hätte eine 4-Track-EP herauskommen können, die der Bedeutung der Musiker Chris Barnes und Jack Owen für den Death Metal würdig gewesen wäre.

Aber nix da. Aus jeder Pore dieser Platte quillt der Wille, irgendwas zu veröffentlichen, bevor sich alle wieder zerstritten haben und man kein Geld mehr mit den großen Namen der Vergangenheit zusammen auf einer Platte verdienen kann. Und das ärgert mich wirklich massiv.

Die gesamte Herangehensweise von SIX FEET UNDER ist fragwürdig

Es handelt sich hier ja nicht um die ersten Geh-Versuche von Teenagern, die gerade ihre erste Band gegründet haben. Da könnte man das vielleicht das ein oder andere durchgehen lassen und irgendwo etwas Potential für die Zukunft bescheinigen. Ein Verriss wäre es trotzdem noch.

Nein, hier sind gestandene Musiker am Werk, welche die Möglichkeit haben, ihre Kunst zu leben und zu präsentieren, mit einer riesigen Fan-Base, mit einer großen Plattenfirma im Rücken, mit professionellen Produktionen, mit massiver Promotion, mit internationalen Touren und guten Festival-Slots (wenn das denn wieder stattfinden kann). Also alle Voraussetzungen, von denen so viele talentierte Bands, mit fantastischen Songs und Platten nur träumen können, weil sie trotz aller Qualität nie das Zwielicht des Undergrounds verlassen werden –  und dann liefern die Herren Profis das hier ab? So eine unausgegorene, hingerotzte Grütze? Euer Ernst?

Und wenn mann dann noch überlegt, welche kreative, frische und energie-geladene Platte die Kollegen von NAPALM DEATH mit “Throes of Joy in the Jaws of Defeatism” gerade abgeliefert haben, auch mit einer Wandschrank-füllenden Diskographie auf den Schultern belastet und im mindestens 148. Jahr ihrer Karriere, wird es umso ärgerlicher, enttäuschender, in der ganzen Herangehensweise fragwürdig, frech und daher einfach abzulehnen, was SIX FEET UNDER hier verbrochen haben.

Label: Metal Blade

Release Date: 02.10.2020

Line Up:

  • Chris Barnes – vocals
  • Jack Owen – rhythm and lead guitar
  • Ray Suhy – lead guitar
  • Jeff Hughell – bass
  • Marco Pitruzzella – drums

SIX FEET UNDER „Nightmares Of The Decomposed“ Tracklist

1. Amputator (Lyrics-Video bei YouTube)
2. Zodiac (Lyrics-Video bei YouTube)
3. The Rotting
4. Death Will Follow
5. Migraine
6. The Noose
7. Blood of the Zombie (Video bei YouTube)
8. Self Imposed Death Sentence
9. Dead Girls Don’t Scream
10. Drink Blood Get High
11. Labyrinth of Insanity
12. Without Your Life

Mehr im Netz:
facebook.com/sixfeetunder

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