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PALLBEARER: Forgotten Days

„Forgotten Days“ atmet das Melodram, so wie das Leben von allen Menschen dieser Welt. Jeder muss sein eigenes Päckchen tragen, und egal wie schwer die Bürde ist, sie hält die Menschen in der Vergangenheit. Wie soll man so seinen eigenen Weg gehen? Egal ob epigenetisch bedingt, oder durch konkrete dramatische Ereignisse in der Vita, unser Päckchen ist untrennbar mit uns verbunden. Ob wir es ausräumen und uns so erleichtern können? Zum Glück gibt es die Kunst als schönste Möglichkeit der Verarbeitung. PALLBEARER sind hier die Könige einer neuen Generation, niemand hat sein Publikum im vergangenen Jahrzehnt mit Doom Metal schöner zum Weinen gebracht. Und gerade thematisch sind PALLBEARER dieses Mal wieder auf hochemotionalem Terrain.

Der Verlust von den engsten Familienmitgliedern vor zehn Jahren, nun die Verarbeitung – das zeugt von Mut und Verletzlichkeit. Zwei Charakterstärken, die meistens belohnt werden. Und gerade das brauchen PALLBEARER auch, deren bisherige drei Alben zum Besten gehört, was das Genre zu bieten hat. Die Erwartungen an die US-Amerikaner sind entsprechend hoch, ebenso wie die Bedenken, die der Wechsel zum Major schürt (Anmerkung des Autors: In Europa ist bereits „Heartless“ beim Branchenriesen NUCLEAR BLAST erschienen, ich habe die PROFOUND LORE-Version zu Hause). Auch der vorab veröffentlichte Titelsong zeigte PALLBEARER erschreckend uninspiriert. Die gute Nachricht lautet daher: Die restlichen sieben Stücke von „Forgotten Days“ sind um Längen besser.

Auf “Forgotten Days” sind PALLBEARER auf hochemotionalem Terrain unterwegs – zum Glück!

Allerdings, das vierte Album von PALLBEARER übertrumpft die restliche Diskografie nicht. Zum Zähneknirschen und Verzweifeln ist diese Stunde Musik aber nicht. Viel mehr lassen PALLBEARER mehr und mehr proggige Elemente einfließen – in höherem Maße als noch zu Zeiten von „Heartless“. Was 2017 Experiment war, ist nun Methode. So steht das Quartett in einem Transitionsprozess, der sowohl zum Progressive Metal führen könnte, oder – im besten Fall – zu einer absolut eigenen Nische für PALLBEARER. „Forgotten Days“ ist der zweite Schritt dahin, immer wieder stehen sie etwas wacklig und verlieren das Songwriting aus dem Sichtfeld, was dann leider zur Beliebigkeit führen kann.

Das Titelstück mit seinem traditionellen Songaufbau gehört hier dazu, aber auch „The Quicksand Of Existing“, das auf eher abgeschmackten Riffs rumreitet, langweilt etwas. Auch in Songs, die ganz große Momente haben, wie „Riverbed“ oder die TYPE O NEGATIVE-Verneigung „Vengeance & Ruination“, können PALLBEARER die Aufmerksamkeit der Hörer nicht stets halten. Doch keine Angst, diese Anflüge sind nur kurz. Größtenteils ist das Songmaterial extrem stark, gerade wenn PALLBEARER ihre melancholische Seite zeigen. Das kompakte „Stasis“, „Rite of Passage“ mit seinem wundervollen Refrain und das abschließende „Caledonia“ zeigen die Band, wie wir sie auch in dieser Phase einfach lieben müssen. Die wahre Sternstunde ist aber das zwölfminütige „Silver Wings“ – wohlgemerkt das einzige Stück mit einer Länge von über zehn Minuten – mit seiner großen Emotionalität, seiner unverwechselbaren Melodik und seiner wohldosierten Epik.

PALLBEARER beweisen Mut zur Lücke: Auf “Forgotten Days” finden sich viele erstklassige Stücke

Im Studio klingen PALLBEARER immer sehr emotional, live sind sie sehr energetisch, in beiden Varianten sind sie absolut authentisch. Ich hätte mir gewünscht, dass „Forgotten Days“ diese beiden Seiten zusammenbringt, immerhin wurde das Album von Randall Dunn produziert. Doch wie auf den Alben zuvor dominiert hier Gefühl vor Heaviness, auch wenn die Musik noch so kracht. Als Band harmonieren PALLBEARER sowieso erstklassig, deshalb wirkt es ganz natürlich und nicht einfallslos, dass fast alle Stücke traditionelle Strophe-Refrain-etc.-Aufbauten haben. Die Musiker spielen dazu beherzt und leidenschaftlich, und das kommt auch bei den Rezipienten an. Im Bereich der zweistimmigen Gitarren und Riffs macht PALLBEARER auch im neuen Jahrzehnt niemand etwas vor. Extrem verbessert hat sich indes Brett Campbell, sein Gesang ist sicherer und versierter. Technisch gesehen mag es bessere Sänger geben, aber er trifft mitten ins Herz und hat die Transformation vom kauzig-schiefen Doom-Sänger hin zum souveränen Frontmann gemeistert.

Insofern ist „Forgotten Days“, dessen Artwork nach eingehender Betrachtung wirklich bemerkenswert ist, ein starkes Album mit ein paar Schwächen, aber vielen, vielen großartigen Momenten und Stücken. PALLBEARER waren nach „Heartless“ nicht zu beneiden, dafür haben sie auf ihrem vierten Album umso mehr Mut bewiesen: Mut zur Emotionalität und auch Mut zur Lücke. Dieser waghalsige Plan ging gut auf und zeigt, dass die Sorgen im Vorfeld unberechtigt waren. Wer das Melodram des Lebens authentisch und ohne Pathos wiedergibt, der hat schon gewonnen. Somit ist es nicht verwunderlich: PALLBEARER belegen im zeitgenössisch-klassischen US-Doom neben BELL WITCH noch immer die Pole Position.

Wertung: 6,5 von 8 Familienaufstellungen

VÖ: 23. Oktober 2020

Spielzeit: 52:55

Brett Campbell – Gesang, Gitarre
Devin Holt – Gitarre
Joseph D. Rowland – Bass, Gesang
Mark Lierly – Schlagzeug

Produziert von Randall Dunn

Label: Nuclear Blast

PALLBEARER „Forgotten Days“ Tracklist:

1. Forgotten Days (Official Video bei Youtube)
2. Riverbed
3. Stasis
4. Silver Wings
5. The Quicksand of Existing (Official Video bei Youtube)
6. Vengeance & Ruination
7. Rite of Passage
8. Caledonia

Mehr im Netz:

https://www.pallbearerdoom.com/

https://pallbearer.bandcamp.com

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