Jahresrückblick 2019 von Florian Schaffer

2019 war ein enorm starkes Musikjahr. Es gab so viele hochkarätige Veröffentlichungen, dass es nahezu unmöglich ist, diese auf nur zehn Alben zu reduzieren. Daher habe ich jetzt eine Top 12 und trotzdem viel zu viele Bands und Platten, die es verdient hätten, aber nicht ganz geschafft haben: Da wäre „Death Atlas“ von CATTLE DECAPITATION, mit dem ich einfach noch nicht genug Zeit hatte. Gleiches gilt für ALCEST mit „Spiritual Instinct“ und ATLANTEAN KODEX und „The Course Of Empire“, das eigentlich nicht ganz mein Genre ist, aber nach eindringlicher Empfehlung zum Jahresende doch in meiner Anlage gelandet ist. Starke Platte – mit etwas mehr Zeit sicherlich ebenfalls ein Top 10-Kandidat.

INSOMNIUMs „Heart Like A Grave” ist ebenfalls eine gute Melodic Death Metal-Scheibe, der mir aber in letzter Konsequenz das Besondere fehlt. DISILLUSION haben mit „The Liberation“ ein starkes Comeback gefeiert, das mir gut gefällt. Leider liebe ich jedoch nicht alles an dem Album – es ist so, als fehle schlicht noch die letzte Etappe bis zum Gipfel. BARONESS ließen mich dieses Jahr etwas ratlos zurück. Viel Licht und viel Schatten gibt es auf dem schwierigen „Gold & Grey“. Da ich das Album in der zweiten Jahreshälfte aber kaum noch gehört habe, bleiben die US-Amerikaner dieses Jahr außen vor. Aus einem ähnlichen Grund scheitert auch „Heyday“ von FIDDLER’S GREEN. Tolles Album, aber im vergangenen halben Jahr hatte ich kaum das Bedürfnis, die Erlanger einzulegen.

Die besten zwölf Alben 2019

12. ANY GIVEN DAY: Overpower
Beständigkeit. Das ist vielleicht das Attribut, das „Overpower“ am besten beschreibt. Der melodische und gesangsbetonte Metalcore, den ANY GIVEN DAY auf ihren dritten Studioalbum zelebrieren, hat nicht einen Durchhänger. Das konstant hohe Niveau reicht zwar nicht zum Genreklassiker, dafür fehlt dem Quintett die Einzigartigkeit, doch auf „Overpower“ reiht sich Hymne and Hymne und Ohrwurm an Ohrwurm. Ein wenig mehr Komplexität im Riffing und wir haben hier das nächste große Ding. ANY GIVEN DAY gaben mir 2019 das, was KILLSWITCH ENGAGE nicht vermochten: ein von vorne bis hinten richtig gutes Album.

11. IN FLAMES: I, The Mask
Ist “I, The Mask” ein außergewöhnliches Album? Nein. Aber es hat nach den beiden enttäuschenden Vorgängern „Battles“ sowie „Siren Charms“ wieder ein Ziel. IN FLAMES verschieben den Schwerpunkt hin zum Gesang und noch weiter in Richtung eines modernen Stadionsounds. Melodic Death Metal-Jünger werden 2019 mit den Schweden weiterhin nicht glücklich werden – obwohl einige schnellere Nummern mit feinstem Göteborg-Riffing aufwarten. Nachdem ich mich mit den Rahmenbedingungen angefreundet hatte, verblieb ich dafür mit eingängigen und melodischen, aber auch gut geschriebenen Songs, die immer noch den typischen IN FLAMES-Sound in sich tragen. Nur über „(This Is Our) House“ möchte ich nach wie vor nicht sprechen.

10. ELUVEITIE: Ategnatos
eluveitie-ategnatos-coverDie Schweizer von ELUVEITIE sind eine der Bands, die ich im Vorfeld des SUMMER BREEZE 2019 wieder neu für mich entdeckt habe. Passenderweise war mit „Ategnatos“ nicht lange zuvor ein neues Studioalbum erschienen, das alle Stärken der Celtic Folk Metal-Band in sich vereint. „Ategnatos“ hat Elan und Kraft, aber auch viel Gefühl. Die Art und Weise wie ELUVEITIE Härte und Aggressivität mit ethnischen Instrumenten und teils poppigen Melodiebögen vereinen, erreicht hier einen neuen Höhepunkt – nicht zuletzt auch, weil Sängerin Fabienne Erni nie besser geklungen hat.

9. SOILWORK: Verkligheten
soilwork_Verkligheten-coverVerkligheten“ war im Januar ein Auftakt nach Maß für das Musikjahr. SOILWORK sind immer noch so abwechslungsreich wie eh und je. Starkes Riffing trifft auf fantastische Refrains, die Björn Strid einmal mehr mit viel Energie aus den Lautsprechern schallen lässt. Selbst, wenn das Songwriting Mal simpler wird („Stålfågel”), entwickeln die Skandinavier einen Sog, dem ich mich nicht entziehen kann. „Verkligheten“ wächst mit jedem Durchlauf und ist ein klares Statement, dass Klargesang im melodischen Death Metal auch funktioniert, ohne zuvor seine Eier an der Garderobe abzugeben.

8. ALLEGAEON: Apoptosis
ALLEGAEONallegaeon-Apoptosis-cover fristen hierzulande immer noch ein Nischendasein – selbst mit „Apoptosis“, ihrem fünften starken Output in Folge, konnten die US-Amerikaner nicht die deutschen Albumcharts knacken. Dabei bringt der technische Death Metal alles mit, um erfolgreich zu sein: Spieltechnische Klasse, grandiose Gitarrenarbeit, mächtige Vocals, interessante lyrische Konzepte und trotz allem zugängliche Arrangements. „Apoptosis“ fordert das Hirn genauso wie die Nackenmuskulatur und hätte definitiv ein größeres Publikum verdient. Bis dahin rotieren ALLEGAEON weiterhin mit aller Regelmäßigkeit in meiner Anlage.

7. DOWNFALL OF GAIA: Ethic Of Radical Finitude
downfall-of-gaia-ethic-radical-finitude-coverDer intensive Auftritt auf dem SUMMER BREEZE 2019 war es, der mich zu DOWNFALL OF GAIA zurückgebracht hatte. „Ethic Of Radical Finitude“ war eine weitere Platte, die ich bei Release irgendwie nicht auf dem Schirm hatte. In der zweiten Jahreshälfte hat sie mich dann doch erwischt: Die Symbiose aus Post Metal mit schwarzmetallischen Klangfarben und einer ungemein dichten Gitarrenwand entwickelt eine enorme Intensität. Zwischendurch werden DOWNFALL OF GAIA beinahe schwerelos und verträumt, bevor die Schönheit der Verzweiflung erneut auf uns niederprasselt.

6. AS I LAY DYING: Shaped By Fire
Im Metalcore ist die Rückkehr der US-Amerikaner vielleicht das Comeback des Jahres. Und obwohl „Shaped By Fire“ streng genommen nichts Neues bietet und genau dort ansetzt, wo „Awakened“ vor der Inhaftierung Tim Lambesis’ aufgehört hatte, ist das Album genau das, was das Genre brauchte. „Shaped By Fire“ ist zu 100% AS I LAY DYING und zeigt uns, was dem Metalcore in den vergangenen Jahren gefehlt hatte. Für den Nachfolger wünsche ich mir zwar mehr Innovationen, aber dank starkem Songwriting, Killer-Riffs und fantastischer Harmonien ist das Comeback-Album mehr als nur ein Nostalgie-Paket.

5. SWALLOW THE SUN: When A Shadow Is Forced Into The Light
swallow-the-sun-shadow-forced-into-lightAnfang des Jahres hatte ich „When A Shadow Is Forced Into The Light” komplett verpasst. Jetzt, wo es wieder kalt wird, haben mich SWALLOW THE SUN aber doch noch gepackt. Gerade weil das Album unweigerlich an die persönliche Tragödie von Gitarrist Juha und den schmerzlichen Verlust seiner Partnerin Alea Stanbridge geknüpft ist, entwickeln die acht Songs eine Intimität, die ich so nicht erwartet hatte. „When A Shadow Is Forced Into The Light“ ist tieftraurig, deprimierend, nachdenklich und zugleich wunderschön.

4. WHITECHAPEL: The Valley
Hätte mir jemand vor einem Jahr gesagt, dass WHITECHAPEL in meiner persönlichen Jahresbestenliste auftauchen würden, hätte ich wahrscheinlich nur gelacht. Doch dann kam „The Valley“ und mit ihm eine stilistische Kurskorrektur, die für die US-Amerikaner ganz neue Möglichkeiten öffneten. Mehr Experimente, weniger Geprügel und sogar Klargesang schaffen einen passenden Rahmen für dieses persönliche Werk. Phil Bozeman arbeitet auf „The Valley“ seine schwierige Kindheit auf, indem er traumatische Erlebnisse offenlegt. WHITECHAPEL sind mit „The Valley” auf dem vorläufigen Zenit ihres Schaffens angekommen – eine der besten Death Metal-Veröffentlichungen des Jahres.

3. PERIPHERY: Periphery IV: Hail STAN
periphery-hail-stan-coverDas Traurige ist ja, dass PERIPHERY in vielen Köpfen immer noch als die hippen Djent-Kids verschmäht werden. Dass sie in den neun Jahren seit dem selbstbetitelten Debüt eine wahnsinnige Entwicklung hingelegt haben, bleibt da oft außen vor. Dabei sind es nicht einmal die spieltechnisch beeindruckenden Fähigkeiten oder der fantastische Gesang, die „Periphery IV: Hail STAN“ so stark machen. Das Songwriting ist exzellent – der 16-minütige Opener „Reptile“ könnte eine EP für sich sein – und der Abwechslungsreichtum enorm. Von der THE DILLINGER ESCAPE PLAN-Verneigung „Chvrch Burner“ reicht das Ganze bis zum emotionalen Prog-Pop-Rock-Song „It’s Only Smiles“. Was können PERIPHERY eigentlich nicht?

2. CULT OF LUNA: A Dawn To Fear
Es war Liebe auf den zweiten Blick. Zuerst war ich von „A Dawn To Fear“ auf hohem Niveau enttäuscht. Das Doppelalbum war CULT OF LUNA durch und durch, aber eben nicht mehr als die Summe seiner Teile. Es hat einige Durchläufe und Zeit gebraucht, um die Facetten, Melodien und Riffs von „A Dawn To Fear“ schätzen zu lernen. Doch dann kann das spektakuläre „Lights On The Hills“, die hypnotische Schleife von „Nightwalkers“ und das mächtige Finale „The Fall“. Fast das beste Album 2019.

1. BORKNAGAR: True North
Borknagar_true-north-coverTrue North” schlich sich erst gegen Ende des Jahres in meine Anlage. Passend zur Winterzeit, möchte man sagen, dabei klingt die Platte gar nicht so kalt und frostig, wie es der Titel vermuten lässt. Trotzdem haben es BORKNAGAR geschafft, ihr ungemein vielseitiges und packendes Material zu einem stimmigen Album zu formen. „True North“ besticht durch perfekt miteinander harmonierenden Gesang, große Melodien mit einigen wenigen frostigen Spitzen und im Allgemeinen wunderbar arrangierten Songs. Keine Durchhänger, keine Schwächen, viel Leidenschaft und deshalb trotz starker Konkurrenz mein Album des Jahres.

I PREVAIL: Trauma
Nach langer Durststrecke und wahrer Bandflut hat der Metalcore seit ein paar Jahren endlich wieder kreative und hochklassige Vertreter in seinen Reihen, die dem Genre neues Leben eingehaucht haben. Selten gab es so viele gute Bands im Metalcore wie heute. I PREVAIL zählen da nicht dazu. Die wenigen traditionell gehaltenen Songs sind abgedroschen, während der experimentelle Rest so dermaßen mit Autotune aufgeblasen ist, dass mir die Ohren bluten. „Trauma“ zu hören ist im wahrsten Sinne des Wortes genau das, weshalb es mir vollkommen unverständlich ist, wie diese Band eine so große Fanbase um sich scharen konnte. Katastrophe.

subway-to-sally-hey-coverSUBWAY TO SALLY: Hey!
Der Albumtitel ist quasi Vorbote dessen, was auf diesem uninspirierten Album zu erwarten ist. Textlich erschreckend einfältig und oberflächlich, stützen sich SUBWAY TO SALLY viel zu oft auf 08/15-la-la-Melodien, die mit der Kreativität und Finesse früherer Schaffensperioden nur noch wenig gemein haben. „Hey!“ ist kein Totalausfall, aber eben auch keine gute Platte, die zudem mit dem lahmen Dreierpack „Alles was das Herz will“, „Aufgewacht“ und „Ausgeträumt“ vielleicht den Tiefpunkt im musikalischen Schaffen der Potsdamer markiert.

KILLSWITCH ENGAGE: Atonement
Ein Übersong mit „The Signal Fire“ macht eben noch lange kein Album. „Atonement“ ist keine Bruchlandung und hat durchaus gutes Material vorzuweisen, nur bleibt mindestens genauso viel gar nicht hängen. KILLSWITCH ENGAGE fehlt 2019 irgendwie der Biss und der Drive, die „Alive Or Just Breathing“ und „The End Of Heartache” einst so großartig gemacht haben. Gemessen am Backkatalog und dem Potenzial der US-Amerikaner eine mittlere Enttäuschung.

SUMMER BREEZE 2019 vom 14. bis 17. August 2019 in Dinkelsbühl

Nach langer Festivalabstinenz ging es für mich dieses Jahr zurück nach Dinkelsbühl. Nach der überfüllten 2008er Auflage hatte ich seinerzeit ein wenig die Lust verloren und wurde diesmal eines Besseren belehrt. Das SUMMER BREEZE war dermaßen gut durchorganisiert, dass trotz der hohen Besucheranzahl nie Stress aufkam und wir an drei Tagen bei gutem Wetter ganz entspannt knapp 40 Bands mitnehmen konnten. Highlights war sicherlich die fette Headliner-Show von PARKWAY DRIVE, bei der ringsherum für anderthalb Stunden die Hölle los war. Und natürlich HEAVYSAURUS.

ARCHITECTS am 6. Februar 2019 im Zenith, München

Mit ihren starken letzten beiden Alben haben ARCHITECTS bei mir die Lust auf Metalcore neu entfacht. Deshalb und auch aufgrund der emotionalen Hintergrundgeschichte der beiden Platten versprach die „Holy Hell“-Tour zu etwas besonderem zu werden. Mit passender Licht- und Lasershow und Videoprojektionen schafften die Briten dann auch, aus einem einfachen Konzert einen emotionalen Abend zu machen, der dem verstorbenen Gitarristen Tom Searle ein wunderbares Denkmal setzte.

PARKWAY DRIVE am 16. Februar 2019 im Zenith, München

© Florian SchafferNoch vor der SUMMER BREEZE-Show gaben PARKWAY DRIVE während ihrer „Reverence“-Europatour zwei Konzerte in München. Über nicht ganz zwei Stunden brannten die Australier dabei ein Feuerwerk ab, das in seiner Inszenierung nicht selten an Theater erinnerte. Perfekt durchgetaktet, aber trotzdem noch menschlich bieten PARKWAY DRIVE ein audiovisuelles Spektakel, das vollkommen zu Recht demnächst die Arenen füllen wird.

AMON AMARTH am 15. November 2019 im Zenith, München

Wirklich begeistern konnten mich AMON AMARTH mit „Berserker“ nicht. Zu brav, zu berechenbar sind die Schweden auf ihrem neuesten Album. Das kann man zwar so auch für die Live-Shows der Skandinavier übernehmen, aber dank visuellem Spektakel, sichtlich großer Spielfreude bei Johan Hegg uns seinen Mitstreitern sowie einem nicht zu vernachlässigenden Nostalgiefaktor meinerseits, war der Gig in München eine ausgesprochen spaßige Angelegenheit.

Zunächst ist da natürlich meine Entscheidung Anfang des Jahres nach einiger Zeit der Inaktivität zu vampster zurückzukehren. Ich bereue nur, das nicht schon früher getan zu haben.

Ebenfalls in Erinnerung bleiben mir die beiden Wanderurlaube in Mallorca sowie der Sächsischen Schweiz, wo seltsamerweise immer die „Regenerationstage“ in den längsten Touren endeten.

Dann war da noch der große Umzug im August, in dessen Rahmen ich erstmals meiner Heimatstadt den Rücken gekehrt habe und den wir organisatorisch irgendwie um das SUMMER BREEZE legen mussten – ich glaube, beim nächsten Mal handhaben wir das etwas anders.

Und schließlich war 2019 noch das Jahr, in dem ich Onkel geworden bin – und damit fühle ich mich endgültig alt.

Vieles in Politik und Gesellschaft.

Ich muss unbedingt noch das schlechteste Cover des Jahres küren: „Wired For Madness“ (Link zum Artwork) von JORDAN RUDESS macht mich immer noch sprachlos.

Das beste Artwork 2019 ist übrigens „Death Atlas“ (Link zum Artwork) von CATTLE DECAPITATION (Künstler: Wes Benscoter). Ich liebe sowohl die Idee als auch die Umsetzung.

Zum Abschluss noch ein paar Auszeichnungen meinerseits:

Beste Eigenproduktion: CALEYA mit “Lethe

Bester Newcomer: UNE MISÈRE mit „Sermon

Bestes Comeback: NEAERA mit „Torchbearer

Größter Hype: JINJER

Beste Doublebass: Bastian Thusgaard (SOILWORK) in “Stålfågel”

Schlechteste Produktion: BARONESS und David Fridmann für “Gold & Grey

Beste Gesangsperformance (live): Jón Aldará (HAMFERD)

Bester Drummer (live): Matt Halpern (PERIPHERY) und Baard Kolstad (LEPROUS)

Schlechteste Ansagen: Tobias Sammet (AVANTASIA)

Nebligste Bühnenshow: THE OCEAN

Ermüdendstes Animationsprogramm: INSOMNIUM live in München

Teuerstes Merchandise: “Premium-Zipper” von AMON AMARTH für 100,-€

Größte Lachnummer: MANOWAR beim HELLFEST 2019

Metal of Honor: SABATON beim HELLFEST 2019, wo sie spontan für MANOWAR einsprangen und selbst ohne den stimmlich angeschlagenen Joakim Brodén lieferten.

Bester Fanservice: VOLBEAT in Belfast, die mit ihrem Konzertabbruch dafür sorgten, dass die Leute BARONESS erst als Headliner erleben durften und danach ihr Geld zurückbekamen.

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